I. Auch weiterhin gilt: Zulassung der Berufung ist nötig; aber: kein willkürliches Versperren des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz

 

Rz. 27

Es verletzt den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz und Justizgewährung sowie die Garantie des gesetzlichen Richters, wenn ein Gericht den Zugang zur Rechtsmittelinstanz versperrt, weil es in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise und damit objektiv willkürlich die Verpflichtung zur Zulassung des Rechtsmittels außer Acht lässt (im Fall: Abweichung von der Rechtsprechung des BVerwG [§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO] hinsichtlich der Anforderungen an die Wahrnehmbarkeit eines Verkehrszeichens). Im Interesse der Rechtseinheit obliegt es ausschließlich dem obersten Bundesgericht, seine einmal geäußerte Rechtsauffassung zu korrigieren; dazu kann ihm nur durch Zulassung der Berufung und der Revision Gelegenheit gegeben werden.[33]

 

Rz. 28

Seit dem 6. VwGOÄndG bedarf die Berufung einer Zulassung. Während bislang die Berufung nur auf Antrag und nur durch das OVG/den VGH zugelassen werden konnte, sieht § 124a Abs. 1 VwGO jetzt in bestimmten Fällen auch die Zulassung der Berufung durch das VG von Amts wegen vor.

 

Rz. 29

Gegen Endurteile einschließlich Teilurteile nach § 110 VwGO und gegen Zwischenurteile nach § 109 und 111 VwGO steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom VG oder dem OVG/VGH zugelassen wird (§ 124 Abs. 1 VwGO). Eine Einlegung der Berufung ohne vorherige Zulassung ist unzulässig. Nunmehr ist geregelt:

unter der Voraussetzung des § 124a Abs. 1 VwGO eine antragsunabhängige Zulassung durch das VG von Amts wegen;
unter der Voraussetzung des § 124a Abs. 4 VwGO eine antragsabhängige Zulassung durch das OVG/den VGH.
[33] VerfGH des Landes Berlin, Beschl. v. 14.5.2014 – VerfGH 80/12; vgl. auch StGH BW, 15.2.2016 – 1 VB 57/14, VBlBW 2016, 241.

II. Gegenstand der Berufung

 

Rz. 30

Gegenstand der Berufung sind Endurteile. Das sind Urteile (§ 107 VwGO), die den Rechtsstreit in der Instanz abschließen, also auch Teilurteile (§ 110 VwGO) und Zwischenurteile nach §§ 109 und 111 VwGO. Auch Gerichtsbescheide gemäß § 84 VwGO gehören dazu, da diese einem Urteil gleich stehen, § 84 Abs. 3 VwGO.[34]

[34] Kopp/Schenke, § 124 Rn 3 f., vor § 124 Rn 16 ff.

III. Zulassung der Berufung durch das VG in Fällen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO

1. Zulassung der Berufung durch das VG von Amts wegen

 

Rz. 31

§ 124a Abs. 1 VwGO sieht die Zulassung der Berufung durch das VG von Amts wegen (ohne Antrag)[35] vor, wenn

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) oder
bei Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO),

wobei das OVG an die Zulassung gebunden ist. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das VG nicht befugt (§ 124a Abs. 1 S. 3 VwGO).

 

Rz. 32

Liegt einer der Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO vor, so hat das VG die Berufung zuzulassen.[36]

[35] Kopp/Schenke, § 124a Rn 4.
[36] Dies gilt nur dann nicht, wenn die Berufung in Spezialgesetzen ausgeschlossen ist; dazu insgesamt: Kopp/Schenke, § 124a Rn 3.

2. Einlegung der Berufung; Frist; Vertretungszwang

 

Rz. 33

Ist die Berufung vom VG zugelassen worden, so ist sie innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils[37] beim VG einzulegen, wobei die Berufung das angefochtene Urteil bezeichnen muss (§ 124a Abs. 2 VwGO). Es bedarf im Fall der Berufungszulassung durch das VG – anders im Falle der Zulassung durch das OVG gemäß § 124a Abs. 5 S. 5 VwGO – einer gesonderten Einlegung der Berufung.

 

Rz. 34

Für die Einlegung der Berufung beim VG besteht nach § 67 Abs. 4 VwGO Vertretungszwang. Obwohl die Einlegung beim VG erfolgt, gilt dies mit Blick auf § 67 Abs. 4 S. 2 VwGO.

Auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung besteht nach § 67 Abs. 4 VwGO Vertretungszwang.

[37] Dazu Kopp/Schenke, § 124a Rn 23.

3. Begründung der zugelassenen Berufung; Frist

 

Rz. 35

Die Frist für die Begründung der zugelassenen Berufung beträgt für die antragsunabhängige verwaltungsgerichtliche Zulassung durch § 124a Abs. 1 S. 1 VwGO zwei Monate. Auf einen vor Fristablauf gestellten Antrag hin kann die Frist vom Vorsitzenden des Senats verlängert werden (§ 124a Abs. 3 S. 3 VwGO).

 

Rz. 36

Die Begründung ist – sofern sie nicht gleichzeitig mit der Berufungseinlegung erfolgt – beim OVG/VGH einzureichen, § 124a Abs. 3 VwGO.

 

Rz. 37

Die Begründung muss einen bestimmten Antrag sowie die Berufungsgründe enthalten. Die Berufung ist unzulässig, wenn Antrag und Berufungsgründe fehlen, § 124a Abs. 3 S. 4 und 5 VwGO.[38]

[38] Kopp/Schenke, § 124a Rn 27 ff., 33 ff.

4. Zulassungsentscheidung durch das VG

 

Rz. 38

Liegen die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO vor, so ist die Berufung zuzulassen; ist § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht gegeben, so darf die Berufung nicht zugelassen werden. Dem VG steht weder ein Ermessens- noch ein Beurteilungsspielraum zu. Allerdings ist das VG zu einer Nichtzulassung der Berufung nicht befugt (§ 124a Abs. 1 S. 3 VwGO).[39]

 

Rz. 39

Das OVG/der VGH ist an eine vom VG ausgesprochene Zulassung gebunden. Dies gilt auch dann, wenn das VG die Berufung trotz Fehlens eines Zulassungsgrundes zugelassen hat (§ 124a Abs. 1 S. 2 VwGO; vgl. BVerwGE 102, 95, 98 f.; 108, 108, 110). Dies gilt auch bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Zulassung.[40] Die Zulassung durch das VG sagt allerdings nichts aus über die Begründetheit der Berufung.[41]

 

Rz. 40

Unwirksam ist die Zulassung allerdings, wenn gegen die gerichtliche Entsche...

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