a) BVerfG: keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Berufungszulassungsgründe

 

Rz. 55

Die Berufung kann nur aus den in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Gründen zugelassen werden.[49] Nach BVerfG[50] begegnen die in § 124 Abs. 2 Nr. 1–4 VwGO aufgeführten Zulassungsgründe als solche jedenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG dürfen insbesondere die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können.[51]

[49] Vgl. VGH BW zfs 2010, 474.
[51] Gaier, NVwZ 2011, 385, 387 f. unter Hinweis auf die Rspr. des BVerfG.

b) Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO

 

Rz. 56

Das Tatbestandsmerkmal ist sehr umstritten. Vertreten wird insbesondere:

Forderung von überwiegenden Erfolgsaussichten;
Erfolg und Misserfolg müssen gleichermaßen oder ähnlich wahrscheinlich sein.
Hinreichende Erfolgsaussichten oder die Einschätzung genügt, dass gewichtige Gründe gegen die Richtigkeit des Urteils sprechen.
 

Rz. 57

Verschiedentlich wird angenommen, dass ernstliche Zweifel hingegen schon dann vorliegen, wenn der Erfolg des Rechtsmittels (mindestens) ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg.[52]

 

Rz. 58

Roth[53] will ernstliche Zweifel bereits dann annehmen, wenn die Entscheidung nicht offensichtlich richtig oder der Rechtsbehelf nicht offensichtlich aussichtslos ist.

 

Rz. 59

Im Schrifttum und in der Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, dass bei offensichtlicher Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Entscheidung die Berufung auch ohne Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung zugelassen werden kann, bzw. dass in einem solchen Fall weniger restriktive Maßstäbe anzulegen sind.[54]

 

Rz. 60

Alle Definitions- und Präzisierungsversuche, die zu diesem Begriff unternommen werden, führen allesamt zum gleichen Ansatz, nämlich dem, dass gewichtige Gründe gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechen müssen:[55] Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen danach nur dann, wenn gewichtige Gründe dafür sprechen, dass das angefochtene Urteil in Bezug auf die die Entscheidung tragenden Rechtssätze oder erheblichen Tatsachenfeststellungen fehlerhaft ist und das Urteil im Rechtsmittelverfahren voraussichtlich keinen Bestand haben wird. Gemäß § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2 VwGO sind die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes in der gebotenen Weise darzulegen. Dies erfordert, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.[56]

 

Rz. 61

Im Ansatz wird man auf Folgendes zurückgreifen können: Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 1 Nr. 1 VwGO sollen danach dann vorliegen, wenn die Bedenken gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung derart überwiegen, dass der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg.[57] Das ist der Fall, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.[58] Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substanziell mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.[59]

 

Rz. 62

Nach BVerfG, das jedenfalls den restriktiven Auffassungen entgegen tritt,[60] sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer Gerichtsentscheidung immer schon dann begründet, wenn ein einzelner tragender (entscheidungserheblicher) Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden.[61] Das ist nach BVerfG aber nicht erst dann der Fall, wenn bei einer im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg.[62] Schließlich solle durch das Zulassungsverfahren das Berufungsverfahren ja nicht vorweggenommen werden; die Zulassungsprüfung darf das Rechtsmittel nicht "leer laufen" lassen.[63] Mit Blick auf Sinn und Zweck des Zulassungsverfahrens muss § 124 Abs. 1 Nr. 1 VwGO dabei immer dann vorliegen, wenn die Angriffe des Klägers gegen die Tatsachenfeststellungen oder rechtlichen Würdigungen, auf denen das Urteil beruht, Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung auslöst, die sich nicht ohne weiteres in einem Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern.[64]

 

Rz. 63

Unzulässig ist es, das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des VG nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO mit Erwägungen zu verneinen, die ihrerseits grundsätzliche Bedeutung haben.[65] Der bloße Umstand, dass bezüglich einer Rechtsfrage eine langjährige Verwaltungspraxis besteht, lässt die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage durch das OVG/den VGH nicht entfallen.[66]

 

Rz. 64

Wird lediglich die Beweiswürdigung angegriffen, so sind Zweifel an der Rich...

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