Rz. 46

Popularwiderspruch ist unzulässig. Widerspruch kann nur einlegen, wer durch den Verwaltungsakt oder dessen Ablehnung in seinen Rechten "beschwert" ist (arg. § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO).[69]

 

Rz. 47

Eine Beschwer liegt vor, wenn der Widerspruchsführer geltend machen kann, in eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Hierzu genügt an dieser Stelle die Feststellung, dass die Rechtsverletzung möglich ist. Die Frage, ob sie auch tatsächlich besteht, ist eine Frage der Begründetheit (Möglichkeitstheorie).

 

Rz. 48

Beim Anfechtungswiderspruch ist Widerspruchsbefugnis ohne weiteres zu bejahen, wenn der Widerspruchsführer selbst Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes ist und diesen angreift (Adressatentheorie).

 

Rz. 49

Dies hat grundsätzlich auch für die Zulässigkeit der Anfechtung verkehrsbeschränkender Anordnungen zu gelten. Die Widerspruchs- (und später auch die Klage-) Befugnis eines Verkehrsteilnehmers gegen ein Verkehrszeichen, mit dem er bereits konfrontiert worden ist, setzt dabei nach BVerwG[70] nicht voraus, dass der Widerspruchsführer (bzw. Kläger) vom Verkehrszeichen nach seinen persönlichen Lebensverhältnissen in einer gewissen Regelmäßigkeit oder Nachhaltigkeit betroffen ist.[71]

 

Rz. 50

Beim Verpflichtungswiderspruch liegt die Beschwer in der Regel schon in der Tatsache begründet, dass der Antrag des Widerspruchsführers abgelehnt wurde und dies möglicherweise rechtswidrig ist, sofern es sich um eine Norm handelt, die nach der Schutznormtheorie ggf. einen subjektiven Anspruch einzuräumen vermag.

 

Rz. 51

Eine Beschwer, auch ohne Rechtsverletzung, ist denkbar im Falle der Zweckwidrigkeit (Unzweckmäßigkeit) des Verwaltungsaktes. Dies folgt aus § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO, wonach im Vorverfahren neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit zu überprüfen ist. Betroffen hiervon sind Ermessensentscheidungen. Die Widerspruchsbehörde ist grundsätzlich befugt, Ermessenserwägungen der Ausgangsbehörde abzuändern und zu ersetzen, also auch eine neue Ermessensentscheidung zu treffen. Die spätere gerichtliche Prüfung ist grundsätzlich am Widerspruchsbescheid auszurichten. Für die Widerspruchsbefugnis ist hierbei ausreichend, dass der Widerspruchsführer geltend macht, durch die Zweckwidrigkeit des Verwaltungsaktes möglicherweise in seinen Rechten beeinträchtigt zu sein.[72]

[69] Exkurs: Problematische Fälle zur Widerspruchsbefugnis: Widerspruch des Nachbarn im Baurecht, Widerspruch des Konkurrenten (Erlaubnis nach Personenbeförderungsgesetz für Konkurrenten, vgl. dazu z.B. OVG RP zfs 2000, 273, Subvention für Konkurrenten; abgelehnter Bewerber im Beamtenrecht), Ehefrau geht gegen Ausweisung ihres ausländischen Ehemannes vor (vgl. dazu Wüstenbecker, JA-Übungsblätter 1988, 113; Wüstenbecker, Die Klagebefugnis, JA-Übungsblätter 1988, 81 ff.; Hipp/Hufeld, Grundfälle zur Klagebefugnis im Verwaltungsprozess, JuS 1998, 802 ff., 898 ff.; Konrad, Nachbarschutz aus bauplanungsrechtlichen Vorschriften, JA 1997, 505; Beckmann, Grundzüge des Nachbarschutzes im öffentlich-rechtlichen Baurecht, DVP 1997, 413; VGH BW NVwZ 1993, 1215: Anfechtung einer Abbruchsanordnung durch einen Dritten; HessVGH DÖV 1996, 383: Vollstreckung gegen Drittbetroffenen).
[70] BVerwG, Urt. v. 21.8.2003 – 3 C 15.03, zfs 2004, 139 = DAR 2004, 45 = NZV 2004, 52.
[71] So aber noch die Vorinstanz des HambOVG zfs 2003, 617.
[72] Vgl. auch Heilmann, Die Prüfung von Ermessensentscheidungen im Widerspruchsverfahren, DVP 1994, 403.

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