Rz. 3

In Bayern ist seit 1.7.2007 ein Widerspruchsverfahren grundsätzlich nicht mehr statthaft (Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO). Nur in einem Katalog eng begrenzter Rechtsgebiete kann ein Betroffener entweder Widerspruch einlegen oder direkt Klage erheben (sog. fakultatives Widerspruchsverfahren, Art. 15 Abs. 1 BayAGVwGO). Zu diesem Katalog zählen auch personenbezogene Prüfungsentscheidungen (Art. 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BayAGVwGO). Grund für die Statthaftigkeit eines Widerspruchsverfahrens ist der Gedanke, dass der Überprüfungsrahmen des Gerichts bei einer personenbezogenen Prüfungsentscheidung nur auf die Rechtmäßigkeit beschränkt ist. Eine inhaltliche Prüfung des Beurteilungsspielraums der Behörde darf das Gericht nicht vornehmen, das ist ausschließlich Sache der Behörde. Sind von der Entscheidung materielle Grundrechte betroffen (z.B. Art. 12 GG), so muss für den Betroffenen die Möglichkeit bestehen, dass eine volle Kontrolle des Beurteilungsspielraums erfolgt; was nur durch die Verwaltung möglich ist. Entsprechend muss ein Verfahren bestehen, in dem nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit (die das Gericht nicht prüfen darf) der Entscheidung kontrolliert werden.[8] Das erfolgt grundsätzlich im Widerspruchsverfahren, in dem Recht- und Zweckmäßigkeit geprüft werden (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO).[9]

 

Rz. 4

Nach Ansicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist beim Entzug der FE ein Widerspruchsverfahren fakultativ statthaft, da es sich hierbei um eine "personenbezogene Prüfungsentscheidung" i.S.v. Art. 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BayAGVwGO handeln soll.[10] Diese Ansicht des VGH, die er mit einer Analyse der Gesetzgebungsmaterialien sowie des semantischen Gehalts des Begriffs "Prüfung" bzw. "prüfen" belegt, geht zu weit. Die Überprüfung der Fahreignung stellt keine "Prüfung" in dem Sinn dar, dass nach einer bestandenen Prüfung – etwa einer Fahrerlaubnisprüfung, in der die Befähigung durch einen Fahrprüfer festgestellt wird – eine Erlaubnis erteilt wird.[11] Der Behörde kommt bei der Feststellung der fehlenden Fahreignung kein Beurteilungsspielraum zu. Die Fragwürdigkeit der Ansicht des VGH zeigt sich auch daran, dass ein Widerspruchsverfahren nach seiner Auffassung dann nicht statthaft ist,

wenn die Feststellung getroffen wird, dass eine EU-Fahrerlaubnis nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland berechtigt,[12]
wenn die FE wegen Erreichens von 18 Punkten im Verkehrszentralregister (§ 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG a.F.; § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG: acht und mehr Punkte im Fahreignungsregister) entzogen wird,[13]

da in diesen Fällen keine Überprüfung der Fahreignung durch die Behörde erfolgt. Zumindest im letztgenannten Fall (Entzug bei 18 Punkten im VZR, § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG a.F.; jetzt: § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG: acht und mehr Punkte im Fahreignungsregister) gilt der Betroffene als fahrungeeignet (§ 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG a.F.; § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG). Auch wenn die Behörde eine Prüfung der Fahreignung nicht durchzuführen hat, so handelt es sich hierbei auch um den von der Behörde festzustellenden Verlust der Fahreignung, die in diesem speziellen Fall am Punktestand anknüpft.

[8] BVerfG v. 17.4.1991, BVerfGE 84, 34; BVerwG v. 24.2.1993, BVerwGE 92, 136; Rennert, in: Eyermann, VwGO, § 68 Rn 10.
[9] Nach Art. 15 Abs. 3 S. 2 AGVwGO bleiben besondere Nachprüfungsverfahren unberührt, etwa das in § 14 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen (JAPO) ausdrücklich geregelte Nachprüfungsverfahren bei den juristischen Staatsprüfungen, das ebenfalls zu einer vollen Inhaltskontrolle führt.
[10] BayVGH v. 7.8.2008, BayVBl 2009, 111.
[11] So aber LT-Drucks 15/7252, S. 12 f. zum Begriff der personenbezogenen Prüfungsentscheidung.
[12] BayVGH v. 19.3.2009 – 11 CE 08.3100.
[13] BayVGH v. 2.3.2010 – 11 CS 09.2446.

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