Rz. 121

Rechtsprechung: BayVGH, Beschl. v. 27.10.82 – 8 N 82 A.277 (zur Münchener Altstadt-Fußgänger-Satzung); OLG Saarland, Beschl. v. 15.9.1997 – Ss(Z) 221/97(62/97), zfs 1997, 473 = NJW 1998, 251[234] zur Satzung der Landeshauptstadt Saarbrücken über Sondernutzungen an öffentlichen Verkehrsflächen, in der das Nächtigen, Betteln und Niederlassen zum Genuss von Alkohol außerhalb der genehmigten Außenausschankflächen als nicht genehmigungsfähige Sondernutzungen angesehen wurden; VGH BW NJW 1984, 507; VBlBW 1998, 428 = DÖV 1998, 1015 = NVwZ 1999, 560 = zfs 1998, 406 – Ls. m.w.N.; VGH BW VBlBW 1999, 101 = zfs 1999, 88 – Ls.; NVwZ 2003, 115 = VBlBW 2003, 31; VGH BW, Urt. v. 28.7.2009 – 1 S 2200/08, zfs 2009, 715 – Ls.; VGH BW, Urt. v. 28.7.2009 – 1 S 2340/08, zfs 2009, 716 – Ls.

 

Rz. 122

Nach VGH BW[235] ist das Betteln nicht schlechthin und in jeder seiner Erscheinungsformen typischerweise eine straßenrechtliche Sondernutzung. Die Regelung einer Polizeiverordnung, die das Betteln auf öffentlichen Straßen untersagt, ist nichtig. In seiner "stillen Erscheinungsform" stellt das Betteln jedenfalls keine "Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" i.S.d. polizeilichen Generalklausel dar.

 

Rz. 123

Die Regelung in einer Polizeiverordnung, die auf öffentlichen Straßen und Gehwegen und in Grün- und Erholungsanlagen das Niederlassen außerhalb von Freiausschankflächen ausschließlich oder überwiegend zum Zwecke des Alkoholgenusses untersagt, ist nichtig.[236] Das untersagte Verhalten kollidiert nicht mit dem Straßenrecht. Es hält sich in den Grenzen des kommunikativen Gemeingebrauchs und beeinträchtigt damit nicht unzumutbar den Gemeingebrauch anderer.[237]

 

Rz. 124

Zur Möglichkeit der Verhängung einer sog. Platzverweisung aufgrund der landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsgesetze in solchen Fällen vgl. VGH BW, Beschl. v. 30.9.1996 – 1 S 2531/96, DÖV 1997, 255 = NVwZ-RR 1997, 225 = VBlBW 1997, 66; VGH BW, Beschl. v. 8.7.1997 – 1 S 1409/97, VBlBW 1997, 464; VGH BW NVwZ 2003, 115; VG Stuttgart NVwZ-RR 1998, 103 (Bekämpfung der offenen Drogenszene durch polizeiliche Allgemeinverfügung; Aufenthaltsverbote); AG Stuttgart NVwZ 1998, 105 (Anordnung, einen regelmäßig in der offenen Drogenszene anzutreffenden Drogenabhängigen in polizeilichen Gewahrsam zu nehmen; vgl. § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolGBW); OVG Bremen, Urt. v. 24.3.1998 – 1 BA 27/97, zfs 1999, 221 – Ls.; Volltext in NVwZ 1999, 314 (Aufenthalts- und Durchquerungsverbot für bestimmte Straßen); VG Göttingen NVwZ-RR 1999, 169 (Platzverweisung wegen Drogenhandels).

 

Rz. 125

Soweit von Personen, die der sog. Punkszene zuzuordnen sind, Gefahren für die öffentliche Sicherheit (und soweit landesrechtlich vorgesehen:) oder Ordnung ausgehen, kann die Polizei/Ordnungsbehörde diesen grundsätzlich durch polizeiliche Einzelanordnungen, etwa befristete Betretens- und Aufenthaltsverbote, entgegenwirken. Die Verfügungen müssen allerdings hinreichend bestimmt und verhältnismäßig sein.[238]

 

Rz. 126

Das Aufenthaltsverbot für bestimmte näher umrissene Stadtgebiete (in München) verletzt nicht Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Ein derartiges Aufenthaltsverbot für die Dauer von zwölf Monaten verstößt nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn dem Betroffenen gestattet ist, diese Gebiete zu betreten und sich dort zeitlich begrenzt aufzuhalten, um Angelegenheiten des täglichen Lebens dort zu erledigen (z.B. Behördengang, Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel).[239]

 

Rz. 127

Zum Betretensverbot an Asylbewerber für das Stadtgebiet bei Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung einer Aufenthaltsgestattung siehe VGH BW.[240]

 

Rz. 128

Der "müßige Aufenthalt in der Öffentlichkeit", wie er für sog. Stadt- und Landstreicher typisch sein soll, überschreitet nicht allgemein und ohne weiteres die Grenze zwischen dem Harmlosen oder Lästigen einerseits und der Störung geschützter Güter andererseits. So ist z.B. ein Verbot, sich auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen "nach Art eines Land- oder Stadtstreichers herumzutreiben", rechtsfehlerhaft. Ein derartiges Verhalten stellt – auch wenn es von einer Mehrheit als lästig empfunden wird – jedenfalls keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit (und soweit die öffentliche Ordnung landesrechtlich in der polizeilichen Generalklausel erfasst ist: "oder Ordnung") dar.[241]

 

Rz. 129

Schließlich darf nicht übersehen werden, dass die ohne straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlich relevante Begleiterscheinungen geführte Lebensweise einer Minderheit grundsätzlich zu tolerieren ist und sich danach auch einer Reglementierung entzieht (Art. 2 Abs. 1 GG). Bereits früh hatte das BVerfG[242] in anderem Zusammenhang es dementsprechend für verfassungswidrig erklärt, wenn der Staat dem Individuum seine Wertvorstellungen aufzwingen will. Der Staat müsse vielmehr um der Würde des Menschen willen diesem eine möglichst weitgehende Entfaltung seiner Persönlichkeit sichern. Er dürfe deshalb nicht als besser wissende Obrigkeit versuchen, für das Wohl von Untertanen zu sorgen. Die Entscheidungen des E...

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