Rz. 116

Nach BVerwG und VGH BW ist die Ausübung von Straßenkunst (hier: Silhouettenschneiden/Fertigen von Scherenschnitten) in der Regel Sondernutzung. Dies gilt insbesondere dann, wenn die künstlerische Betätigung ortsfest erfolgt.[225] Die Verkehrsanschauung kann allerdings zur Qualifizierung von Straßenkunst als Gemeingebrauch führen.[226]

 

Rz. 117

Soweit die beabsichtigte Straßennutzung als Ausübung des Grundrechts der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) zu werten ist, ist zunächst festzuhalten, dass das behördliche Kontrollverfahren der Sondernutzungserlaubnis im Rahmen des Straßenrechts grundsätzlich mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG vereinbar ist. Dies gilt grundsätzlich auch in dem Fall, in dem die Sondernutzung durch Anbieten entgeltlicher Leistungen einer Religionsgemeinschaft erfolgt.[227] Ansonsten ist die Erteilung einer Sondernutzugserlaubnis in das Ermessen der Beklagten gestellt (vgl. z.B. § 41 StrG RP; § 16 StrG BW; § 18 SaarlStrG). Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass die beabsichtigte Straßennutzung auch tatsächlich als Ausübung des vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts der Glaubensfreiheit zu werten ist. Dies ist z.B. bei der Abgabe eines religiösen Traktats und von Flyern an Passanten sowie beim Verkauf von Devotionalien zum Selbstkostenpreis der Fall.[228] Die Entscheidungsmaßstäbe für die Ermessensausübung bei der Entscheidung über die Sondernutzugserlaubnis ergeben sich unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Gebot, gegenläufige, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützte Interessen mit dem Ziel ihrer Optimierung im Wege fallbezogener Abwägung auszugleichen. Ergibt die Einzelfallprüfung, dass durch die beabsichtigte Straßenbenutzung weder andere Grundrechte, etwa die durch Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG im Kern geschützten Rechte der Verkehrsteilnehmer oder das Recht auf Anliegergebrauch (Art. 14 Abs. 1 GG), noch sonstige Güter von Verfassungsrang, insbesondere die Verhinderung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, ernstlich beeinträchtigt sind, so besteht in aller Regel ein Anspruch auf Erlaubniserteilung.[229]

 

Rz. 118

Eine Beeinträchtigung kollidierender Grundrechte oder von Werten mit Verfassungsrang ist dabei z.B. dann in Betracht zu ziehen, wenn sich durch die vom Antragsteller gewünschte Aufstellung des mobilen Informations- u. Verkaufsstandes je nach Verkehrssituation eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ergeben kann (z.B. Beeinträchtigung der Sicherheit des Fußgängerverkehrs). Vor einer gänzlichen Ablehnung der Erlaubnis sind aber weniger beeinträchtigende Maßnahmen zu prüfen (etwa räumliche oder zeitliche Verlagerung der Aufstellung der Stände).[230]

 

Rz. 119

Mitglieder der Scientology-Sekte, die auf öffentlichen Verkehrsflächen Passanten ansprechen oder Druckerzeugnisse verteilen und dadurch für den Erwerb von Büchern oder Dienstleistungen werben, üben eine gewerbliche Tätigkeit aus, die den Gemeingebrauch überschreitet. Die wirtschaftliche Betätigung einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ist in den vorgegebenen Ordnungsrahmen einzubinden.[231]

 

Rz. 120

Soweit es um das Verteilen von Informationsbroschüren in Fußgängerzonen oder verkehrsberuhigten Bereichen geht, kommt eine Beeinträchtigung der Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs zwar grundsätzlich in Betracht. Das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung der Ausübung der Meinungsäußerungs- und Meinungsverbreitungsfreiheit steht aber außer Verhältnis zum erstrebten Erfolg der Leichtigkeit des Verkehrs. Eine solche Betätigung ist (kommunikativer) Gemeingebrauch.[232] Wird allerdings eine gewerbliche Tätigkeit ausgeübt, so ist der Gemeingebrauch überschritten.[233]

[225] BVerwGE 84, 71, 75, VGH BW zfs 1992, 360 – Ls.; VGH BW DÖV 1987, 160.
[226] VGH BW zfs 1992, 360 – Ls. Zur Straßenkunst als Gemeingebrauch oder als Sondernutzung vgl. BVerwG NJW 1990, 2011; dazu auch Steinberg/Hartung, JuS 1990, 795; Drumm, DVP 1992, 68.
[227] BVerwG, Beschl. v. 4.7.1996 – 11 B 23/96 – NJW 1997, 406 = NZV 1996, 468.
[228] OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 30.11.2015 – 1 A 10341/15, OVG NVwZ-RR 2016, 263, 265.
[229] BVerwG, Beschl. v. 4.7.1996 – 11 B 23/96 – NJW 1997, 406; OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 30.11.2015 – 1 A 10341/15, OVG NVwZ-RR 2016, 263, 265.
[230] OVG Rheinl.-Pfalz, Urt. v. 30.11.2015 – 1 A 10341/15, OVG NVwZ-RR 2016, 263, 265.
[231] VGH BW zfs 1996, 476,477; vgl. auch HambOVG NJW 1996, 2051 = zfs 1996, 440, mit zahlreichen weiteren Nachweisen auf Sondernutzungsfälle; vgl. ferner NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244, 247; BayVGH BayVBl 1996, 665; siehe auch VGH BW NVwZ-RR 2003, 238.
[232] BVerfG NVwZ 1992, 53; BayVGH BayVBl 1996, 665.
[233] VGH BW zfs 1996, 476 = VBlBW 1997, 64; vgl. auch HambOVG NJW 1996, 2051; NdsOVG NVwZ-RR 1996, 244, 247, siehe auch BVerwG NZV 1996, 468; vgl. auch VG Frankfurt a.M. NVwZ-RR 1998, 88: Sondernutzungserlaubnis für Informationsstand zur Verbreitung von religiösem und weltanschaulichem Gedankengut; Ermessensausübung; BayVGH NVwZ-RR 2003, 244: Scientology begehrt Aufstellen eines Zelt...

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