Rz. 116
Nach BVerwG und VGH BW ist die Ausübung von Straßenkunst (hier: Silhouettenschneiden/Fertigen von Scherenschnitten) in der Regel Sondernutzung. Dies gilt insbesondere dann, wenn die künstlerische Betätigung ortsfest erfolgt. Die Verkehrsanschauung kann allerdings zur Qualifizierung von Straßenkunst als Gemeingebrauch führen.
Rz. 117
Soweit die beabsichtigte Straßennutzung als Ausübung des Grundrechts der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) zu werten ist, ist zunächst festzuhalten, dass das behördliche Kontrollverfahren der Sondernutzungserlaubnis im Rahmen des Straßenrechts grundsätzlich mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG vereinbar ist. Dies gilt grundsätzlich auch in dem Fall, in dem die Sondernutzung durch Anbieten entgeltlicher Leistungen einer Religionsgemeinschaft erfolgt. Ansonsten ist die Erteilung einer Sondernutzugserlaubnis in das Ermessen der Beklagten gestellt (vgl. z.B. § 41 StrG RP; § 16 StrG BW; § 18 SaarlStrG). Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass die beabsichtigte Straßennutzung auch tatsächlich als Ausübung des vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts der Glaubensfreiheit zu werten ist. Dies ist z.B. bei der Abgabe eines religiösen Traktats und von Flyern an Passanten sowie beim Verkauf von Devotionalien zum Selbstkostenpreis der Fall. Die Entscheidungsmaßstäbe für die Ermessensausübung bei der Entscheidung über die Sondernutzugserlaubnis ergeben sich unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Gebot, gegenläufige, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützte Interessen mit dem Ziel ihrer Optimierung im Wege fallbezogener Abwägung auszugleichen. Ergibt die Einzelfallprüfung, dass durch die beabsichtigte Straßenbenutzung weder andere Grundrechte, etwa die durch Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG im Kern geschützten Rechte der Verkehrsteilnehmer oder das Recht auf Anliegergebrauch (Art. 14 Abs. 1 GG), noch sonstige Güter von Verfassungsrang, insbesondere die Verhinderung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, ernstlich beeinträchtigt sind, so besteht in aller Regel ein Anspruch auf Erlaubniserteilung.
Rz. 118
Eine Beeinträchtigung kollidierender Grundrechte oder von Werten mit Verfassungsrang ist dabei z.B. dann in Betracht zu ziehen, wenn sich durch die vom Antragsteller gewünschte Aufstellung des mobilen Informations- u. Verkaufsstandes je nach Verkehrssituation eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ergeben kann (z.B. Beeinträchtigung der Sicherheit des Fußgängerverkehrs). Vor einer gänzlichen Ablehnung der Erlaubnis sind aber weniger beeinträchtigende Maßnahmen zu prüfen (etwa räumliche oder zeitliche Verlagerung der Aufstellung der Stände).
Rz. 119
Mitglieder der Scientology-Sekte, die auf öffentlichen Verkehrsflächen Passanten ansprechen oder Druckerzeugnisse verteilen und dadurch für den Erwerb von Büchern oder Dienstleistungen werben, üben eine gewerbliche Tätigkeit aus, die den Gemeingebrauch überschreitet. Die wirtschaftliche Betätigung einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ist in den vorgegebenen Ordnungsrahmen einzubinden.
Rz. 120
Soweit es um das Verteilen von Informationsbroschüren in Fußgängerzonen oder verkehrsberuhigten Bereichen geht, kommt eine Beeinträchtigung der Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs zwar grundsätzlich in Betracht. Das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung der Ausübung der Meinungsäußerungs- und Meinungsverbreitungsfreiheit steht aber außer Verhältnis zum erstrebten Erfolg der Leichtigkeit des Verkehrs. Eine solche Betätigung ist (kommunikativer) Gemeingebrauch. Wird allerdings eine gewerbliche Tätigkeit ausgeübt, so ist der Gemeingebrauch überschritten.