Rz. 15

Dieser Regelungsgehalt ist vor allem bedeutsam für die Frage, ob im Einzelfall Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis des Rechtsbehelfsführers vorliegt.[27] So hat der Eigentümer eines an einen Fußgängerbereich angrenzenden (durch eine andere öffentliche Straße erschlossenen) Grundstücks regelmäßig keine Klagebefugnis gegen die Erweiterung der Widmung des Fußgängerbereichs auf Fahrzeugverkehr in beschränktem Umfang.[28] Die Widmung erzeugt nämlich in erster Linie eine individuelle Rechtsbetroffenheit des Eigentümers des Straßengrundes, wenn dieser mit dem Träger der Straßenbaulast nicht identisch ist.

 

Rz. 16

Die Rechtsbetroffenheit liegt dann darin, dass die Widmung dem Träger der Straßenbaulast die Ausübung der Rechte und Pflichten des privatrechtlichen Eigentümers in dem Umfang einräumt, in dem dies die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs erfordert. Sein weiter bestehendes Privateigentum wird durch die öffentlich-rechtliche Sachherrschaft überlagert. Seine aus dem Eigentum fließenden Befugnisse werden beschränkt ("modifiziertes Privateigentum"). Ist der Kläger nicht Eigentümer des widmungsbetroffenen Grundstücks, so lassen sich aus diesem Aspekt auch keine Abwehrrechte erkennen.[29]

 

Rz. 17

Besteht nach Widmung darüber hinaus die zuvor bereits gegebene Zufahrtsmöglichkeit des Klägers fort, so ist er in einem solchen Fall auch nicht in seinem Anliegergebrauch betroffen.[30] Im Anschluss an die Widmung erfolgte bloße Zugangserschwernisse für den Anlieger reichen zur Annahme der Klagebefugnis nicht.[31]

 

Rz. 18

Wie weit der Anliegergebrauch darüber hinaus ein Abwehrrecht des Anliegers gegen rechtswidrige Entwidmung einer Straße gewährt, richtet sich nach dem jeweils einschlägigen Landes-Straßenrecht. § 8 Abs. 1 BremLStrG bestimmt z.B. ausdrücklich, dass einem Anlieger ein Recht auf Fortbestand einer Straße nicht zusteht. Dem Gewährleistungsinhalt des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG trägt dann § 8 Abs. 3 BremLStrG durch eine "Zugangsregelung" Rechnung. Der Anlieger ist nur insoweit geschützt, als ihm in Folge der Entwidmung der Zugang zu seinem Grundstück auf Dauer entzogen oder wesentlich beschränkt wird.[32] Teilweise wird aber auch, gestützt auf Art. 2 GG und Art. 3 GG, ein durchaus erweiterter Anspruch auf Vollkontrolle der Rechtmäßigkeit einer Entwidmungsverfügung bejaht. Danach erschöpfen sich die Rechte des Anliegers im Hinblick auf "seine" Straße nicht darin, dass Art. 14 Abs. 1 GG den Kernbereich des Anliegergebrauchs gewährleistet und insoweit Abwehr- und/oder Entschädigungsansprüche begründet. Daneben stehen dem Anlieger auch Abwehransprüche aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG zu. Eine rechtmäßige Straßeneinziehung ist zu dulden; der Anlieger hat aber ein Abwehrrecht gegenüber einer rechtswidrigen Straßeneinziehung. Auch im Fall einer ohne vorherige (Teil-)Einziehung erfolgten und damit nur tatsächlichen Unterbindung des Gemeingebrauchs stehen dem Anlieger abwehrfähige Rechte zu. Auf die Ausübung des für ihn bestehenden gesteigerten Gemeingebrauchs besteht ein Recht, das aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG herzuleiten und darauf gerichtet ist, dass die Behörde den rechtlich fortbestehenden Gemeingebrauch nicht rechtswidrig unterbindet.[33]

Ein Anlieger, der gegen eine straßenrechtliche Einziehung einer Straße substantiiert geltend macht, die Einziehung durch die Straßenbaubehörde erfolge aus rechtsmissbräuchlichen, willkürlichen oder unredlichen Gründen oder sei in sonstiger Weise treuwidrig (§ 242 BGB analog), ist klagebefugt. Die Entscheidung über die Einziehung ist gerichtlich voll überprüfbar.[34]

 

Rz. 19

Die Klagebefugnis eines Straßenanliegers besteht aber insoweit, als er geltend macht, durch die Widmung selbst mit öffentlich-rechtlichen Handlungspflichten belastet zu werden. An die Widmung knüpft die Rechtsordnung für den Straßenanlieger Handlungspflichten, nämlich die auf den Straßengesetzen beruhenden Reinigungs-, Räum- und Streupflichten. Diese Handlungspflichten sind der Widmung als Rechtsfolge zuzurechnen. Daraus ist die Klagebefugnis abzuleiten.[35]

[27] Einzelheiten dazu bei Otte, NWVBL 1996, 41 ff.; Sauthoff, NVwZ 1998, 240.
[28] VGH BW NVwZ-RR 1995, 185.
[29] VGH BW NVwZ-RR 1995, 185.
[30] VGH BW NVwZ-RR 1995, 185.
[31] BVerwG zfs 1999, 495 m.w.N.; zum "Anliegergebrauch" siehe § 63 Rn 1 ff., § 63 Rn 14 ff.
[32] OVG Bremen, Beschl. v. 8.1.2016 – OVG 2 B 134/15, NVwZ-RR 2016, 409.
[33] OVG Saarland, Beschl. v. 31.10.2005 – 1 Q 62/05; vgl. aber auch z.B. NdsOVG, Urt. v. 18.7.2006 – 12 LB 116/06, NVwZ-RR 2007, 147 m.w.N.: Klagerecht des Anliegers aus sog. gesteigertem Gemeingebrauch/Anliegergebrauch gg. eine straßenrechtliche Einziehungsverfügung.
[34] BayVGH Urt. v. 22.10.2015 – 8 ZB 15.2320, NVwZ-RR 2016, 206: Klagebefugnis des Anliegers gegen die rechtsmissbräuchliche Einziehung öffentlicher Feld- und Waldwege.
[35] BVerwGE 94, 100, 110 = NVwZ 1994, 275; OVG NRW, Urt. v. 15.9.1994 – 23 A 2673/92; OVG RP NJW 1987, 1284; VGH BW NVwZ-RR 1995, 185; VG Karlsruhe NVwZ-RR 1999, 220.

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