Rz. 72

Kommt es zur Kollision zwischen Nutzfahrzeugen, so ist die Rekonstruktion des Unfalles nach den gängigen Regeln der Technik möglich. Die Schäden, die Spurenlage am Unfallort sowie Auslaufwege sind ebenso auswertbar, wie bei einem Pkw/Pkw-Unfall. Besonderheit hierbei ist natürlich die hohe Masse und die Formsteifigkeit des Nutzfahrzeuges. Aber auch hierfür sind Parameter zu bestimmen, die in die Auswertung einfließen können.

Im Normalfall lässt sich auch für Nutzfahrzeuge eine EES aufgrund des Beschädigungsgrades festlegen. Folglich lässt sich ein Nutzfahrzeugunfall analog zu einem Pkw-Unfall rekonstruieren. Man muss letztlich nur die Unterschiede der Aufbauten, Formsteifigkeiten, Verzögerungswerte, etc. berücksichtigen.

 

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Schwieriger wird es jedoch, wenn man auf o.g. Parameter nicht konkret zurückgreifen kann, wie z.B. bei einem Kontakt eines ungeschützten Verkehrsteilnehmers (Radfahrer/Fußgänger) mit einem Nutzfahrzeug. Aus einem solchen Kontakt ergeben sich zumeist nur geringe Spuren am stoßenden Fahrzeug, während der Radfahrer/Fußgänger schwerste Verletzungen davontragen kann. Formsteifigkeit und Masseunterschied lassen keine großen Deformationen am Nutzfahrzeug zu. In den meisten Fällen kommt es bei derartig gelagerten Unfällen zu äußerst geringen Eindellungen oder aber lediglich zu Schürf-/Kratzspuren. Handelt es sich um ein Fahrzeug, das nicht sehr hochaufbauend ist, so kann eine Belastung der Frontscheibe eintreten, die sich dann in Form einer sog. Bruchspinne darstellt.

 

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Um nun den Unfallablauf eines solchen Szenarios zu rekonstruieren, kann man auf eine Besonderheit im Nutzfahrzeug, nämlich die Auswertung der Tachographendaten, zurückgreifen.

Mit der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 vom 20.12.1985 ist die Einführung des Tachographen in Nutzfahrzeugen geregelt worden. Damit ist der Einbau eines EG-Kontrollgerätes in eine Vielzahl von Fahrzeugen zur gewerblichen Personen- und Güterbeförderung mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t einschl. Anhänger oder Sattelanhänger gesetzlich vorgeschrieben. Mittlerweile ist diese mehrfach geändert und angepasst worden. So wurde z.B. mit der Verordnung EG-Nr. 1360/2002 aus dem Jahr 2002 der digitale Tachograph (Abb. 5.56 A) eingeführt.

Seit dem 1.5.2006 müssen sogar alle unter die o.g. Regelung fallenden Neufahrzeuge mit einem digitalen Tachographen ausgestattet sein.

Abb. 5.56

Der Tachograph oder auch das EG-Kontrollgerät ist ein Tachometer mit angeschlossenem Messschreiber, der Lenk- und Ruhezeiten sowie Geschwindigkeiten und gefahrene Kilometer aufzeichnet. Das analoge Gerät (Abb. 5.56 B und 5.56 C) zeichnet dabei die Daten auf ­einer kreisrunden Pa­­pier­scheibe (Abb. 5.57 und 5.58) auf.

 

Es handelt sich hierbei nicht um einen Unfalldatenschreiber, sondern lediglich um ein Gerät, das Lenk- und Ruhezeiten auf der einzulegenden Diagrammscheibe vermerkt. Auf dieser kreisrunden Scheibe wird in y-Richtung durch eine Aufzeichnungsnadel die Geschwindigkeit aufgezeichnet. Das druckempfindliche Papier wird dabei durch diese Nadel beschrieben. Je nach gefahrener Geschwindigkeit steigt die Nadel vom Mittelpunkt der Tachoscheibe aus gesehen an. Auf der Diagrammscheibe sind dann weiter unterschiedliche Geschwindig-keitslinien zur Orientierung gekennzeichnet. Wird das Fahrzeug beschleunigt, wird die Tachographennadel nach oben gezogen, bis die vom Signalgeber gesendete Geschwindigkeit erreicht ist. Zeitgleich rotiert die Scheibe, wobei eine Umdrehung der Scheibe einem Verlauf von 24 Stunden entspricht (Aufzeichnung in x-Richtung auf der Diagrammscheibe).

Weiterhin wird mit einer zweiten Aufzeichnungsnadel die Wegstrecke dokumentiert. Zusätzlich sind vom Fahrer handschriftlich der Name, der Zielort, der Ankunftsort, das Datum, das Kennzeichen sowie auch die Kilometerangabe bei Beginn der Fahrt sowie bei Beendigung der Fahrt einzutragen.

Der analoge Aufschrieb liefert aufgrund seines Aufbaus und seiner Aufzeichnungseigenschaft eine Besonderheit. Kommt es zu einer anstoßbedingten Erschütterung des Nutzfahrzeuges, kann die federnd gelagerte Schreibnadel des Tachographen von ihrer eigentlichen Zeichnungsbahn abweichen, wodurch eine sog. Zeichnungsanomalie eintritt.

Hierüber sind dann Rückschlüsse auf das Tempo zum Anstoßzeitpunkt möglich.

 

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Das analoge Gerät wurde im Jahr 2006 vom digitalen Tachographen abgelöst. Die Geschwindigkeitsaufzeichnung erfolgt über einen Impulsgeber am Getriebe, der mit dem EG-Kontrollgerät kommuniziert. Die Daten werden dann jedoch nicht mehr auf einer Papierscheibe aufgezeichnet, sondern sie werden digital im Tachographen sowie auf einer Fahrerkarte gespeichert, die der Größe einer EC-Karte entspricht (Abb. 5.59 und 5.60).

 

Auf einem Chip der Karte sind fahrerbezogene Daten wie Name, Geburtsdatum und Gültigkeit der Karte gespeichert. Weiter werden auch fahrzeugbezogene Daten aufgezeichnet, wie z.B. das Kennzeichen. Auch Daten hinsichtlich der Lenk- und Ruhezeiten sowie die zum Zeitpunkt des Einsatzes gefahrenen Geschwindigkeiten ...

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