Rz. 102

Nach den bisherigen AKB und dem VVG 1908 führte eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung auch dann zur Leistungsfreiheit, wenn diese sich nicht auf den Schaden oder die Schadenfeststellung auswirkt. Es genügte, wenn die Obliegenheitsverletzung generell geeignet war, die Interessen des Versicherers zu gefährden ("Relevanztheorie"). Durch das in den AKB 2008 und im VVG 2008 zu berücksichtigende Kausalitätsprinzip wird sich die Argumentation und Rechtsprechung auf den Vorwurf eines arglistigen Verhaltens konzentrieren.

 

Rz. 103

Bei falschen Angaben zum Schadenhergang und zur Schadenhöhe wird der Versicherer, wenn er die Unrichtigkeit dieser Angaben entdeckt, die Regulierung verweigern oder die Ersatzleistung entsprechend kürzen, so dass grob fahrlässige und vorsätzliche Verstöße gegen die Aufklärungsobliegenheit nur noch für Rückforderungsansprüche von Bedeutung sind. Die bislang zur Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung ergangene Rechtsprechung wird daher in Zukunft nur bedingt von Bedeutung sein und nur insoweit Bestand haben, als der Versicherungsnehmer durch seine falschen Angaben bewusst auf das Regulierungsverhalten des Versicherers Einfluss nehmen wollte.

 

Rz. 104

Diese Voraussetzungen dürften jedoch im Regelfall bei falschen Angaben zum Schadenhergang und zur Schadenhöhe von Bedeutung sein, da die bisherigen "Irrtümer" des Versicherungsnehmers stets zu seinen Gunsten erfolgten, es sind keine oder nur wenige Fälle bekannt, in denen sich der Versicherungsnehmer zu seinen Ungunsten "geirrt" hatte.

 

Rz. 105

Vorsätzlich falsche Angaben zum Schadenhergang und zur Schadenhöhe dürften daher im Regelfall auch arglistig erfolgen, also mit der Absicht, die Leistungspflicht des Versicherers dem Grunde oder der Höhe nach zu beeinflussen. Der Versicherungsnehmer kann die gegen ihn sprechende Vermutung des arglistigen Verhaltens nur durch den Gegenbeweis entkräften.

 

Beispiel

Der Versicherungsnehmer weist nach, dass die falschen Angaben zum Kilometerstand auf einer arglistigen Täuschung des Vorbesitzers des Fahrzeuges beruhen.

 

Rz. 106

Die Leistungsfreiheit des Versicherers wird daher auch für die Zukunft in Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung zu bejahen sein bei:

falschen Angaben über den Kaufpreis des versicherten Fahrzeugs;[75]

66.700,00 DM statt 47.500,00 DM;[76]
23.000,00 DM statt 20.300,00 DM;[77]
28.000,00 DM statt 19.500,00 DM;[78]
39.000,00 EUR statt 28.680,00 EUR.
falschen Angaben über Zubehörteile;[79]

unrichtigen Angaben über den Kilometerstand des entwendeten Fahrzeuges;[80]

130.000 km statt 180.000 km;[81]
8.000 km statt 16.000 km;[82]
130.000 km statt 160.000 km;[83]
87.000 km statt 106.000 km;[84]
116.000 km statt 130.000 km,[85]
unrichtigen Angaben über die Anzahl der Vorbesitzer;[86]
Falschangaben über Vorschäden,[87] (etwas anderes gilt nur für Bagatellschäden, deren Beseitigung Kosten in Höhe von weniger als 219,60 EUR[88] oder 250,00 EUR[89] ausmacht),
Täuschungsversuchen über den Restwerterlös;[90]
unrichtigen Angaben zur Vorsteuerabzugsberechtigung;[91]
falschen Angaben zu Wert erhöhenden Reparaturarbeiten mit fingierten Rechnungen;[92]
arglistigem Verschweigen einer ebenfalls eintrittspflichtigen Transportversicherung.[93]
 

Rz. 107

Aktuelle Rechtsprechung:

Ein Versicherungsnehmer, der falsche Angaben zu erheblichen Vorschäden macht, handelt arglistig, weil er die Absicht hat, den Versicherer über die Höhe des Schadens zu täuschen und Nachfragen zu unterbinden.[94]
Ein Versicherungsnehmer, der die Frage nach Zeugen wahrheitswidrig verneint, handelt arglistig.[95]
Arglist liegt vor, wenn eine Ersatzquittung als Original vorgelegt wird.[96]
Verschweigen von Nachtrunk ist eine arglistige Obliegenheitsverletzung.[97]
 

Rz. 108

Der Nachtrunk nach einem Unfall ohne Fremdschaden führt nicht ohne Weiteres zu Leistungsfreiheit, es sei denn, dass der Versicherungsnehmer durch diesen Nachtrunk die Verschleierung seines Alkoholisierungsgrades beabsichtigt;[98] ob Unfallflucht auch in Zukunft selbst bei klarer Sach- und Rechtslage zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt, erscheint zweifelhaft.

 

Beispiel

Der Versicherungsnehmer beschädigt ein parkendes Fahrzeug und lässt sein Fahrzeug an der Unfallstelle zurück. Hier ist das Aufklärungsinteresse am Schadenhergang und zur Schadenhöhe des Versicherers nicht verletzt, allenfalls die Feststellung, ob der Versicherungsnehmer alkoholisiert war.

 

Rz. 109

Nach bisheriger Rechtsprechung trat die Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Unfallflucht auch bei eindeutiger Haftungslage ein, weil der BGH die Auffassung vertritt, dass § 142 StGB auch "reflexartig" das Aufklärungsinteresse des Versicherers an der Fahrtüchtigkeit des Versicherungsnehmers schützt.[99] Das LG Düsseldorf[100] geht auch nach neuerer Rechtslage von einer Leistungsfreiheit des Versicherers aus, weil der Unfallflüchtige stets "arglistig" handele. Nach einer weiteren Entscheidung des LG Saarbrücken[101] ist der Haftpflichtversicherer ...

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