Rz. 81

Der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens erfordert nicht die Prüfung, wie die Vermögenslage des Betroffenen wäre, wenn der Anwalt die Pflichtverletzung nicht begangen hätte.[157] Vielmehr umschreibt der Begriff Fälle, in denen der Schuldner geltend macht, der durch sein rechtswidriges Verhalten tatsächlich verursachte Schaden wäre auch dann eingetreten, wenn er eine andere, von der verletzten Pflicht verschiedene, selbstständige Pflicht erfüllt hätte. Es geht also wiederum um die Frage, ob die realen Folgen des dem Schädiger zur Last fallenden Verhaltens ihm billigerweise zugerechnet werden können.[158]

 

Rz. 82

Das Problem des rechtmäßigen Alternativverhaltens tritt im Haftungsrecht der rechtsberatenden Berufe selten auf. I.d.R. geht es dort nur um die zur Kausalität gehörende Frage, ob der geltend gemachte Nachteil auch dann eingetreten wäre, wenn der Beklagte die Pflichtverletzung nicht begangen hätte. Eine Ausnahme bildet folgender, dem Notarhaftungsrecht entnommener Fall:[159]

 

Der Notar war beauftragt, die Fälligkeitsbestätigung für den Kaufpreis zu erteilen, sobald die Auflassungsvormerkung für die Käuferin mit dem vereinbarten Rang eingetragen war. Er stellte die Bestätigung jedoch zu einem Zeitpunkt aus, als diese Voraussetzung noch fehlte. Die Käuferin macht den Schaden geltend, der ihr dadurch entstanden ist, dass sie den Kaufpreis zu früh gezahlt hat. Der Notar wendet ein, bei Erfüllung aller seiner Pflichten hätte er die Eintragung der Vormerkung bis zu dem Tag bewirkt, an dem er die Fälligkeitsbestätigung ausstellte. Dann hätte die Klägerin zu demselben Zeitpunkt zahlen müssen.

 

Rz. 83

Nach Auffassung des BGH entscheidet der Schutzzweck der jeweils verletzten Norm darüber, ob und inwieweit der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens im Einzelfall beachtlich ist.[160] Damit befindet sich die Rechtsprechung in Übereinstimmung mit großen Teilen des Schrifttums[161] sowie der vom BAG[162] vertretenen Auffassung. Im hier geschilderten Fall hat der BGH den Einwand zu Recht als unbeachtlich angesehen. Die dem Notar obliegende Pflicht sollte die Käuferin davor schützen, vor Eintragung der zu ihrer Sicherheit vereinbarten Vormerkung leisten zu müssen. Gerade dieses Ziel wurde nicht erreicht. Daher kann sich der Notar der Haftung nicht mit dem Hinweis darauf entziehen, nur weil er eine weitere ihm der Käuferin ggü. obliegende Pflicht verletzt habe, sei die Vormerkung verspätet eingetragen worden.[163] Hätten die Beteiligten im Streitfall anstelle des Notars einen Anwalt beauftragt, wäre selbstverständlich ebenso zu entscheiden.

Generell liegt es nahe, hier den im Amtshaftungsrecht geltenden Grundsatz entsprechend anzuwenden, dass derjenige, der dem Schutz des Betroffenen dienende grundlegende Verfahrensvorschriften verletzt, sich nicht auf rechtmäßiges Alternativverhalten berufen darf.[164]

 

Rz. 84

Soweit die Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten nach dem Schutzzweck der Norm beachtlich ist, trifft den Schädiger die Beweislast dafür, dass der Nachteil auch bei einem solchen Verhalten entstanden wäre.[165] Die bloße Möglichkeit, dass sich das rechtmäßige Alternativverhalten in derselben Weise ausgewirkt hätte, ist in jedem Falle unbeachtlich.[166]

[157] Vgl. BGH, NJW 2003, 295, 296.
[158] BGHZ 96, 157, 172 = NJW 1986, 576, 579; BGH, NJW 1992, 2694, 2695; BGH, NJW 1996, 311, 312; BGH, WM 2000, 928, 929; BGH, NJW 2003, 295, 296; BGH, 7.2.2012 – VI ZR 63/11, BGHZ 192, 298 = NJW 2012,850; BGH, 14.6.2012 – IX ZR 199/11, BRAK-Mitt. 2013, 25 Rn 6.
[159] Vgl. BGHZ 96, 157, 158 ff. = NJW 1986, 576.
[160] BGHZ 96, 157, 173 = NJW 1986, 576, 579; BGH, WM 2000, 928, 929; BGH, 2.11.2016 – XII ZR 153/15, NJW 2017, 1104.
[161] Palandt/Grüneberg, BGB, Vorbem. vor § 249 Rn 64.; Staudinger/Schiemann, BGB, § 249 Rn 102, 105; v. Caemmerer, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, Heft 54, S. 33 ff.
[162] BAGE 6, 321, 376 ff. = DB 1959, 143, 146; BAG, NJW 1984, 2846, 2847.
[163] BGHZ 96, 157, 173 f. = NJW 1986, 576, 579.
[164] BGHZ 36, 144, 153 f. = NJW 1962, 583, 585; OLG Köln, VersR 1996, 456; v. Caemmerer, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe, Heft 54, S. 32; Staudinger/Schiemann, BGB, § 249 Rn 106.
[165] BGHZ 120, 281, 287 = NJW 1993, 520, 521 f.; BGH, NJW 1991, 166, 167.
[166] BGH, NJW 1959, 1316, 1317; BGH, 2.11.2016 – XII ZR 153/15, NJW 2017, 1104.

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