Rz. 33

Die Sonderregelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Art. 133 GesRL (vormals Art. 16 VerschmelzungsRL), welche in Deutschland durch das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG)[87] umgesetzt wurden, werfen schon hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs gewisse Zweifel auf. Nach Art. 133 Abs. 1 GesRL gelten grundsätzlich die Regelungen des Sitzstaates der aufnehmenden Gesellschaft über die Arbeitnehmermitbestimmung, vorbehaltlich der in Art. 133 Abs. 2 GesRL normierten Ausnahmetatbestände. Art. 133 Abs. 2 GesRL lautet:

Zitat

Artikel 133: Mitbestimmung der Arbeitnehmer

(1) …

(2) Die Regelung für die Arbeitnehmermitbestimmung, die gegebenenfalls in dem Mitgliedstaat gilt, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz hat, findet jedoch keine Anwendung, wenn in den sechs Monaten vor der Veröffentlichung des in Artikel 123 genannten Verschmelzungsplans mindestens eine der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften durchschnittlich mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt und in dieser Gesellschaft ein System der Arbeitnehmermitbestimmung im Sinne des Artikels 2 Buchstabe k der Richtlinie 2001/86/EG besteht, oder wenn das für die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft maßgebende innerstaatliche Recht

a) nicht mindestens den gleichen Umfang an Mitbestimmung der Arbeitnehmer vorsieht, wie er in den jeweiligen an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften bestand, wobei dieser Umfang als der Anteil der die Arbeitnehmer vertretenden Mitglieder des Verwaltungs- oder des Aufsichtsorgans oder ihrer Ausschüsse oder des Leitungsgremiums ausgedrückt wird, das für die Ergebniseinheiten der Gesellschaft zuständig ist, wenn eine Arbeitnehmermitbestimmung besteht, oder

b) für Arbeitnehmer in Betrieben der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft, die sich in anderen Mitgliedstaaten befinden, nicht den gleichen Anspruch auf Ausübung von Mitbestimmungsrechten vorsieht, wie sie den Arbeitnehmern in demjenigen Mitgliedstaat gewährt werden, in dem die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz hat.

(3) – (7) …

 

Rz. 34

Nicht eindeutig ist, ob sich aus Art. 133 Abs. 2 GesRL drei Ausnahmetatbestände ergeben oder ob es sich nur um zwei Ausnahmen handelt, die jeweils voraussetzen, dass eine der beteiligten Gesellschaften in den sechs Monaten vor Veröffentlichung des Verschmelzungsplanes durchschnittlich mindestens 500 Arbeitnehmer beschäftigt hat. Für Letzteres spricht zunächst der systematische Aufbau von Art. 133 Abs. 2 GesRL, da die Ausnahmetatbestände nicht in lit. a, b und c untergliedert, sondern das Erfordernis von durchschnittlich 500 Arbeitnehmern vorangestellt und die weiteren Anforderungen unter lit. a und b getrennt aufgezählt werden. Auch Erwägungsgrund 13 VerschmelzungsRL (Verknüpfung der Mindestanzahl mit den beiden weiteren Tatbeständen durch "und") sprach gegen drei selbstständige Ausnahmetatbestände.[88] Für die Normierung von drei Ausnahmen spricht hingegen der Wortlaut, da die drei Tatbestände je mit einem "oder" verknüpft sind.[89] Entsprechend wurde selbiger Streit auch bei der Auslegung des deutschen § 5 MgVG geführt, wobei insoweit Gesetzeswortlaut und -aufbau eindeutiger in Richtung drei alternative Tatbestände gefasst sind.[90] Mittlerweile hat der EuGH mit Urteil vom 20.6.2013 (C-635/11) entschieden, dass das europäische Verhandlungsmodell zur Anwendung kommt, wenn alternativ einer der Tatbestände des § 5 Nrn. 1–3 MgVG erfüllt ist.[91]

[87] BGBl 2006 I, S. 3332.
[88] Vgl. Kisker, RdA 2006, 206, 211.
[89] Gleiches gilt für die englische und die französische Fassung.
[90] Vgl. dazu Rdn 105 sowie Müller-Bonnani/Müntefering, NJW 2009, 2347 ff. m.w.N.

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