1. Beschränkungen des Zuzugs

 

Rz. 2

Gesellschaften aus den Mitgliedstaaten der EU sind heutzutage in hohem Maße beweglich. Dies ist u.a. den Entscheidungen des EuGH zu der in Art. 49 und 54 AEUV (ex-Art. 43, 48 EG) garantierten Niederlassungsfreiheit geschuldet, welche den primärrechtlichen Ausgangspunkt für die Frage der Zulässigkeit grenzüberschreitender Umwandlungen bildet. In den Entscheidungen Centros,[6] Überseering[7] und Inspire Art[8] stellte der EuGH klar, dass ein Mitgliedstaat den Zuzug von Gesellschaften,[9] welche in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründet wurden, nur in engen Grenzen beschränken darf. In Abkehr von der bis dahin in Deutschland vorherrschenden sog. Sitztheorie ist somit die sog. Gründungstheorie maßgebend.[10] Danach bestimmt sich das Gesellschaftsstatut nach dem Recht des Ortes, an dem die Gesellschaft gegründet wurde. Konkret steht die Niederlassungsfreiheit beispielsweise Regelungen entgegen, welche die Errichtung einer Zweigniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft von Voraussetzungen abhängig macht, die für eine Gründung nach innerstaatlichem Recht erforderlich wären. Spätestens seit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache SEVIC[11] ist – noch vor Inkrafttreten der Richtlinie 2005/56/EG – anerkannt, dass sich der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit rechtsformunabhängig auf sämtliche Arten der Hereinumwandlung erstreckt.

[6] EuGH Slg. 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027 – Centros.
[7] Slg. 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614 – Überseering.
[8] Slg. 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331 – Inspire Art.
[9] Bzw. die Ausübung von Geschäftstätigkeit im Inland.
[10] Palandt/Thorn, Anhang zu EGBGB Art. 12 Rn 5.
[11] Slg. 2005, I-10805 = DNotZ 2006, 210 – SEVIC.

2. Beschränkungen des Wegzugs

 

Rz. 3

Entgegen der liberalen Tendenz in Zuzugsfällen und entgegen den Ausführungen des Generalanwalts[12] hat der EuGH mit seinem Urteil vom 16.12.2008 in der Rechtssache Cartesio[13] die vielfach schon für überholt gehaltenen Grundsätze für den Wegzug von Gesellschaften aus der Daily-Mail-Entscheidung[14] bekräftigt. Danach sind die Mitgliedstaaten weitgehend frei darin, welche Anforderungen sie an die Fortexistenz einer nach ihrem Recht bestehenden Gesellschaft stellen. Da jede Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit von einer bestimmten Rechtsordnung ableitet, sind die darin durch den Mitgliedstaat frei bestimmbaren Anknüpfungsmomente für die (Fort-)Gewährung der Gesellschaft maßgeblich ("Geschöpftheorie").[15] Wegzugsbeschränkungen für Gesellschaften seien grundsätzlich nicht an Art. 49 und 54 AEUV zu messen.[16] Unter Wegzug in diesem Sinne versteht der EuGH die Lösung der bisherigen, nach nationalem Recht notwendigen tatsächlichen oder rechtlichen Anknüpfung, die mit dem Wunsch erfolgt, die von der nationalen Rechtsordnung des Wegzugsstaates gewährte Rechtsfähigkeit beizubehalten.[17] Ein Mitgliedstaat sei berechtigt anzuordnen, dass ein derartiges Verhalten zur Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft führt. In einem obiter dictum stellt der EuGH aber klar, dass ein Wegzug dann in den Anwendungsbereich der Art. 49 und 54 AEUV fällt, wenn die nach nationalem Recht gegründete Gesellschaft das "nationale Rechtskleid" im Zuge eines Wegzugsvorgangs abgeben und ihre Rechtsfähigkeit künftig von der Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats ableiten möchte. Aus dem Argument des EuGH, jede Gesellschaft sei das Produkt ihrer Heimatrechtsordnung, folge konsequenterweise die Grenze der mitgliedstaatlichen Autonomie. Hinausumwandlungen (grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen) in einen anderen Mitgliedstaat werden daher grundsätzlich von der Niederlassungsfreiheit geschützt. Dies gilt nach ganz überwiegender,[18] mittlerweile auch vom EuGH in der Rechtssache VALE bestätigter[19] Ansicht auch für den grenzüberschreitenden Formwechsel. In seiner Entscheidung Polbud vom 25.10.2017 hat der EuGH – entgegen den bisherigen Grundsätzen, wonach Niederlassung i.S.d. AEUV stets die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels fester Einrichtung auf unbestimmte Zeit im Aufnahmemitgliedstaat impliziere – sogar (wenig überzeugend) eine isolierte Satzungssitzverlegung ohne Ausübung irgendeiner Geschäftstätigkeit im Zielrechtsstaat als von der Niederlassungsfreiheit geschützt angesehen.[20]

[12] Vgl. Schlussantrag des Generalanwalts Maduro, NZG 2008, 498.
[13] Slg. 2008, I-9664 = NJW 2009, 569 = DNotZ 2009, 553 – Cartesio; vgl. hierzu: Herrler, DNotZ 2009, 484; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58; Paefgen, WM 2009, 529; Teichmann, ZIP 2009, 393.
[14] EuGH Slg. 1988, 5483 = NJW 1989, 2186 – Daily Mail.
[15] EuGH Slg. 2008, I-9664 = NJW 2009, 569 = DNotZ 2009, 553 Tz. 103 f., 108, 110 – Cartesio; EuGH Slg. 1988, 5483 = NJW 1989, 2186, 2187 Tz. 19 – Daily Mail; vgl. Rehm, in: Eidenmüller, § 2 Rn 61 f.
[16] Zu den Grenzen vgl. EuGH Slg. 2011, 12307 = EuZW 2011, 951 – National Grid Indus (Wegzugsbesteuerung der stillen Reserven am Vier-Kriterien-Test zu messen); jüngst bestätigt EuGH IStR 2020, 267 – Aures Holding.
[17] In der Rec...

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