Rz. 4

Die Verweisung durch das IPR auf das Recht eines ausländischen Staates ist in der Regel[5] ergebnisoffen. Nicht zuletzt die Bindung der inländischen Gerichte an die Verfassung erzwingt aber, dass auch nach Verweisung auf eine ausländische Rechtsordnung durch das Kollisionsrecht – welches im Range einfachen Gesetzesrechts steht – übergeordnete Regeln des inländischen Rechtssystems nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Es ist daher international seit jeher anerkannt, dass der Vorbehalt der Grundwerte der inländischen Rechtsordnung (ordre public) einen elementaren Bestandteil des Kollisionsrechts darstellt. Dies gilt daher nicht nur für das deutsche nationale IPR (vgl. Art. 6 EGBGB), sondern auch für das europäische vereinheitlichte Internationale Kollisionsrecht (siehe z.B. Art. 12 Rom III-VO).

 

Rz. 5

Gemäß Art. 35 EuErbVO darf die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts eines Staates nur versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts "offensichtlich unvereinbar" ist.

 

Rz. 6

Weil der ordre public-Vorbehalt auf einer europäischen Gesetzesregel beruht, ist er autonom, also nach europäischen Maßstäben, auszulegen. Andererseits verweist Art. 35 EuErbVO auf die öffentliche Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts, nimmt also auf die nationalen Vorstellungen Bezug. Nach der Definition des EuGH zählen zum ordre public alle "nationalen Vorschriften …, deren Einhaltung als so entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation des betreffenden Mitgliedstaates angesehen wird, dass ihre Beachtung für alle Personen, die sich im nationalen Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates aufhalten, und für jedes dort lokalisierte Rechtsverhältnis vorgeschrieben ist".[6] Der EuGH kann hier zwar nicht definieren, was zur öffentlichen Ordnung eines Mitgliedstaates gehört. Er sieht sich aber dazu berufen, die Grenzen des ordre public zu ziehen, also "über die Grenzen zu wachen, innerhalb derer sich das Gericht eines Vertragsstaates auf diesen Begriff stützen darf".[7]

 

Rz. 7

Für deutsche Gerichte bedeutet dies, dass sie auch für Erbfälle, die nach der EuErbVO zu beurteilen sind, grundsätzlich weiterhin die bislang geltende Rechtsprechung der deutschen Gerichte zum ordre public heranziehen können.[8]

 

Rz. 8

Im Beispiel verstößt die ungleiche Behandlung von männlichen und weiblichen Angehörigen bzw. der Ausschluss andersgläubiger Personen von der Erbfolge nicht nur gegen Art. 3 Abs. 2 GG, sondern auch gegen die einschlägigen Regelungen der EMRK. Insoweit wäre hier sowohl ein nationaler als auch ein europäischer[9] ordre public tangiert.

[5] Ausgenommen z.B. die alternative Anknüpfung zur Begünstigung der Formwirksamkeit in Art. 27 EuErbVO.
[6] GA beim EuGH 23.22.1999 – C-369/96 (Arblade), Slg. 1999, I-8453 = NJW 2000, 1553.
[7] GA beim EuGH 23.9.1999 – C-7/98 (Krombach ./. Baberski), Slg. 2000, I-1935 Rn 23.
[8] Erman/Hohloch, 14. Aufl. 2014, Art. 35 EuErbVO Rn 1; Wumnest, in: Leible/Unberath, Rom 0-Verordnung, S. 460.
[9] Dazu GA beim EuGH 23.9.1999 – C-7/98 (Krombach ./. Baberski), Slg. 2000, I-1935.

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