Rz. 40

Erbrecht und Sachenrecht liegen dicht beieinander. Unterliegt die Erbfolge einem anderen Recht als ein zum Nachlass gehörender Gegenstand (z.B. im Fall der Vererbung eines in Deutschland belegenen Grundstücks durch einen mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich verstorbenen Erblasser), so können sich aus dem französischen Erbrecht Folgen ergeben, die das deutsche Sachenrecht so nicht kennt. Beispielsweise könnte die Ehefrau kraft Gesetzes einen Nießbrauch an der Immobilie erwerben (Legalnießbrauch) oder es würde bei Geltung französischen Rechts ein Vermächtnisnehmer, dem das Eigentum an dieser Immobilie im Wege eines Einzelvermächtnisses zugewandt wurde, unmittelbar mit Eintritt des Erbfalls das Eigentum an der Immobilie erwerben (Vindikationslegat).[55] Art. 31 EuErbVO sieht hier nun vor, dass dann, wenn eine Person ein dingliches Recht geltend macht, das ihr nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht zusteht, und das Recht des Mitgliedstaates, in dem das Recht geltend gemacht wird, das betreffende dingliche Recht nicht kennt, dieses Recht – soweit erforderlich und möglich – an das in der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaates am ehesten vergleichbare Recht anzupassen sei (Transposition). Bei dieser Form der Anpassung sollen die mit dem dinglichen Recht verfolgten Ziele und Interessen und die mit ihm verbundenen Wirkungen berücksichtigt werden.

 

Rz. 41

Beispielsweise könnte auf diese Weise ein nach dem Recht von New York angeordneter testamentary trust in eine Anordnung der Testamentsvollstreckung (Dauervollstreckung)[56] bzw. eine "unselbstständige Stiftung" oder ein gesetzliches life interest der überlebenden Ehefrau an einem Teil des Nachlasses nach englischem Recht in eine Vorerbfolge des Ehegatten und die Nacherbfolge der Kinder umgedeutet werden.

 

Rz. 42

Beim Legalnießbrauch bzw. Vindikationslegat des französischen Rechts ergibt sich die Besonderheit, dass das deutsche Recht zwar den Nießbrauch und auch die Übertragung von einzelnen Gegenständen aus dem Nachlass an berechtigte Dritte kennt, nicht aber den unmittelbaren Erwerb ipso iure mit Eintritt des Erbfalls. In Deutschland wurde im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der EuErbVO vielfach die Auffassung vertreten, dass nicht nur die unbekannte Art des dinglichen Rechts eine Anpassung nach Art. 31 EuErbVO eröffne, sondern auch die dem Sachenrecht unbekannte Art und Weise der Entstehung dieser Rechte.[57] Aufgrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Kubicka,[58] wonach die unmittelbaren dinglichen Wirkungen eines nach polnischem Erbstatut angeordneten "Vindikationslegats" sich auch auf eine in Frankfurt/Oder belegene Eigentumswohnung erstrecken, wird man allerdings annehmen müssen, dass auch die dinglichen Wirkungen anderer erbrechtlicher Einzelübertragungen hinsichtlich in Deutschland belegener Vermögensgegenstände von der deutschen lex rei sitae zu akzeptieren sind.

 

Weitere Informationen und Materialien, wie z.B. Muster, Formulare, amtliche Texte und Internetadressen, befinden sich auf der beiliegenden CD-ROM.

[55] Siehe Döbereiner, Länderbericht Frankreich, Rdn 26, 31>.
[56] Wautelet, in: Bonomi/Wautelet, Art. 31 Anm. 21.
[57] Burandt, in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, Art. 31 EuErbVO Rn 1; Dörner, ZEV 2012, 509; Erman/Hohloch, 14. Aufl. 2014, Art. 31 EuErbVO Rn 4; Palandt/Thorn, 73. Aufl. 2014, Art. 31 EuErbVO Rn 2; a.A.: Margonski, GPR 2013, 106; J. P. Schmidt, ZEV 2014, 137.
[58] EuGH, Urt. v. 12.10.2017 – C-218/16 (Kubicka), DNotZ 2018, 33 = NJW 2017, 3767; siehe dazu bereits § 3 Rdn 112.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge