Rz. 13

Bereits von Gesetzes wegen ergeben sich Ausnahmen vom Stichtagsprinzip, nämlich bei

der Berücksichtigung von Vorempfängen nach §§ 2315 f. BGB;
der Pflichtteilsergänzung (§§ 2325 ff. BGB);
der Beachtung von Bestandsänderungen nach § 2313 BGB.
 

Rz. 14

In diesem Zusammenhang sind auch zeitlich nach dem Stichtag eintretende, aber auf diesen zurückwirkende Rechtsveränderungen anzusprechen.[29] Hier geht es im Wesentlichen um folgende zwei Fallgruppen:[30]

Anfechtung: Wird nach dem Stichtag eine zu Lebzeiten des Erblassers bereits erfolgte Eigentumsübertragung wirksam angefochten und war die Möglichkeit der Anfechtung zum Zeitpunkt des Bewertungsstichtages bereits erkennbar, kann dies durch einen Bewertungsabschlag oder aber durch Anwendung von § 2313 BGB berücksichtigt werden.[31] Fehlt es an der Absehbarkeit der Anfechtung aus der Sicht des Stichtags, muss die Lösung unter Berücksichtigung des Sinn und Zweck des Stichtagsprinzips und der Interessenlage der durch das Bewertungsergebnis unmittelbar Betroffenen gefunden werden.[32] Die Berücksichtigung des Bewertungsziels (siehe Rdn 4 ff.) ergibt hier zumeist, dass der Pflichtteilsberechtigte von der erfolgreichen Anfechtung genauso (negativ) betroffen gewesen wäre wie der Erbe als Pflichtteilsschuldner. In derartigen Fällen ist die Anfechtung daher wertmindernd zu berücksichtigen.

 

Rz. 15

Ausschlagung: War der Erblasser Erbe oder Vermächtnisnehmer (eines anderen Erblassers) und war bei seinem Tod das Ausschlagungsrecht noch nicht erloschen, geht es mit dem Erbfall auf seinen Erben über (§§ 1952 Abs. 1, 2180 Abs. 3 BGB). Schlägt dieser (der sog. Erbeserbe) aus, führt dies zu einer Minderung des Nachlasses, die auch der Pflichtteilsberechtigte gegen sich gelten lassen muss. Denn ein striktes Abstellen auf das Stichtagsprinzip würde die Freiheit der Ausschlagungsentscheidung des Erbeserben unzulässig beschneiden, da er die Erbschaft immer annehmen müsste, um den Pflichtteil begleichen zu können.[33]

Konsequenterweise sind in solchen Fällen alle infolge der Ausschlagung eintretenden Rechtsfolgen im Rahmen der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen: Erlangt der Erbeserbe etwa durch die Ausschlagung seinerseits einen Pflichtteilsanspruch (§§ 2306 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 2307 Abs. 1 S. 1 BGB), gehört dieser zu den Aktiva des pflichtteilsrelevanten Nachlasses des Erblassers. Dasselbe gilt auch für einen etwa bestehenden Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB).[34]

 

Rz. 16

Wird der Pflichtteilsberechtigte durch die Ausschlagung des Erbeserben selbst Erbe nach dem Erstverstorbenen, kürzt der Wert dieser Erbschaft den Pflichtteilsanspruch bezüglich des dem Erbeserben zugefallenen Nachlasses.

 

Beispiel

Erblasser E hinterlässt dem E 1 einen belasteten Erbteil i.S.d. § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB. E 1 verstirbt und wird von E 2 beerbt, der auch das Ausschlagungsrecht erbt. Ersatzerbe von E 1 ist dessen Sohn S. E 2 schlägt die Erbschaft zur Erlangung des Pflichtteils aus. Damit wird S der alleinige Erbe von E. Der Pflichtteil von S hinsichtlich seines Vaters E 1 ist aber um den Wert der S infolge der Ausschlagung von E 2 erhaltenen Erbschaft zu kürzen, weil es ansonsten zu einer Doppelberücksichtigung des Nachlasses des E kommt.

Strittig ist allerdings die Behandlung des Falls, dass nicht der Pflichtteilsberechtigte S, sondern der Erbeserbe E 2 als Ersatzerbe nunmehr Erbe des E wird. Richtigerweise wird man hier annehmen müssen, dass keine Minderung des Pflichtteils erfolgt, denn sonst könnte der Erbeserbe zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten den Nachlass mindern, obwohl er wirtschaftlich ja den Wert erhält.[35]

[29] Siehe dazu Staudinger/Herzog, § 2311 Rn 10 ff.
[30] Meincke, Nachlassbewertung, S. 234; Staudinger/Herzog, § 2311 Rn 10 ff.
[31] Damrau/Tanck/Riedel, § 2311 Rn 6; Meincke, Nachlassbewertung, S. 234; Staudinger/Herzog, § 2311 Rn 10 ff.
[32] Meincke, Nachlassbewertung, S. 234 f.
[33] Brüstle, BWNotZ 1976, 78; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 Fn 315; MüKo-BGB/Lange, § 2311 Rn 8; Soergel/Dieckmann, § 2311 Rn 8; Staudinger/Herzog, § 2311 Rn 15. A.A. Meincke, Nachlassbewertung, S. 234; Planck/Greiff, § 2311 Anm. 2 b.
[34] Staudinger/Herzog, § 2311 Rn 18; Damrau/Tanck/Riedel, § 2311 Rn 7.
[35] Staudinger/Herzog, § 2311 Rn 20; Brüstle, BWNotZ 1976, 78, 79; zweifelnd Soergel/Dieckmann, § 2311 Rn 8.

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