Rz. 383

Die Große Koalition hat sich auf Grundlage der in der Rechtsprechung seit dem 13.3.2013 deutlich nachvollzogenen Abwendung von der strengen Anwendung der Zwei-Komponenten-Lehre[888] beim Drittpersonaleinsatz des "mitbestimmungsrechtlichen Status" von Leiharbeitnehmern im Kundenbetrieb angenommen. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vom 16.12.2013 hat diese dazu wörtlich vereinbart:[889]

Zitat

Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen hin orientieren. Das AÜG wird daher an die aktuelle Entwicklung angepasst und novelliert:

[…]
Zur Erleichterung der Arbeit der Betriebsräte wird gesetzlich klargestellt, dass Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu berücksichtigen sind, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht."

Die Große Koalition geht folglich von einem Regel-Ausnahme-Prinzip zugunsten der Beachtung von Leiharbeitnehmern bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten aus, während nach der Rechtsprechung des BAG[890] eine Einzelfallentscheidung anhand der jeweils relevanten Norm vorzunehmen ist, ohne dass von einer "Vermutung" ausgegangen wird, dass Leiharbeitnehmer tatsächlich im Rahmen der Betriebsverfassung mitzuzählen sind. Insoweit unterscheidet sich der im Koalitionsvertrag gewählte Ansatz erheblich von den vom BAG[891] entwickelten Grundsätzen. Zur Beachtung von Leiharbeitnehmern bei den Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung schweigt sich der Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2013 hingegen aus.

Zwar finden sich im Koalitionsvertrag der "Ampel" vom 7.12.2021 inhaltliche Ausführungen, die sich materiell auch auf die Mitbestimmung auswirken können. So heißt es dort, dass die (betriebliche) Mitbestimmung weiterentwickelt werden solle. Deutschland nehme zudem bei der Unternehmensmitbestimmung eine weltweit bedeutende Stellung ein. Die bestehenden nationalen Regelungen würden bewahrt werden. Eine missbräuchliche Umgehung des geltenden Mitbestimmungsrechts solle verhindert werden.[892]

Gesetzliche Anpassungen, die die Bestimmung der Schwellenwerte unter Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern, also eher formale Fragen im Rahmen der betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmung, betreffen, dürften auf Grundlage des von der Ampel-Koalition am 7.12.2021 geschlossenen Koalitionsvertrags zumindest nicht als überwiegend wahrscheinlich bezeichnet werden. Es gelten die Ausführungen zur Offenlegungs-, Konkretisierungs- und Informationspflicht entsprechend.[893]

[889] S. 69.
[892] S. 71 f. des Koalitionsvertrags vom 7.12.2021.
[893] Vgl. Teil F Rdn 205.

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