Rz. 252

In Umsetzung der im Koalitionsvertrag vom 16.12.2013 getroffenen Vereinbarung hat sich der Gesetzgeber entschlossen, die zunächst auf eine illegale Arbeitnehmerüberlassung beschränkten Rechtsfolge (Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher) auch auf den Verstoß gegen die Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht (§ 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG)[546] und die Überschreitung der Überlassungshöchstdauer (§ 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1b AÜG) zu erstrecken.[547]

In § 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG heißt es – wie bisher – zunächst, dass Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern unwirksam sind, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis hat. Ergänzend ist in § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG nun vorgesehen, dass Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern unwirksam sind, wenn die Arbeitnehmerüberlassung entgegen § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG nicht ausdrücklich als solche bezeichnet wird und die Person des Leiharbeitnehmers nicht konkretisiert worden ist.[548] Anders als im Fall eines Betriebsübergangs gem. § 613a BGB tritt der Entleiher dabei nicht in das zwischen dem Verleiher und Leiharbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis ein. Vielmehr wird von Gesetzes wegen ein neues Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer begründet.[549]

 

Rz. 253

 

Praxishinweis

Die Formulierung von § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG ist durch die "Und-"Verknüpfungen zwischen der Offenlegungs- und der Konkretisierungspflicht so zu verstehen, dass sowohl § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG als auch § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG verletzt sein müssen, um auf der Rechtsfolgenseite die Unwirksamkeit des zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrages auszulösen.[550] Ansonsten hätte der Gesetzgeber dies durch eine "Oder"-Verbindung der beiden Verpflichtungen eindeutig formulieren können und müssen, zumal dieser in den Ordnungswidrigkeitstatbeständen nach § 16 Abs. 1 Nr. 1c, 1d AÜG zu erkennen gibt, dass er in diesem Fall auch die singuläre Verletzung einer der Pflichten zu ahnden gedenkt. Die Missachtung der Offenlegungs- oder der Konkretisierungspflicht ist für die Begründung der Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages folglich nicht ausreichend. Bestätigt wird dieser Befund durch die Gesetzesbegründung, in der immer kumulativ an die Verletzung von § 1 Abs. 1 S. 5 und 6 AÜG angeknüpft wird.[551] Dies bedeutet, dass die Verletzung nur der Offenlegungspflicht bei gleichzeitiger Erfüllung der Konkretisierungspflicht genauso wenig wie der umgekehrte Fall ausreichend ist, um die Unwirksamkeit des zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer bestehenden Arbeitsvertrages zu begründen. Gleiches gilt im Übrigen, wenn nicht formgerecht offengelegt und/oder konkretisiert werden sollte. Der Entleiher und der Verleiher haben in diesem Fall den Normbefehl verstanden und sich (ausdrücklich) zur Durchführung einer Arbeitnehmerüberlassung in den maßgeblichen Unterlagen bekannt – nur nicht in der "richtigen" Form. Insoweit ist es unangemessen, die einschneidenden Rechtsfolgen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a, § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG auf Fälle zu erstrecken, in denen sich die Rechtsanwender ausdrücklich den gesetzlichen Verpflichtungen unterworfen und dabei ggf. nur formal gegen einzuhaltende Formvorschriften verstoßen haben.[552]

Diese Ansicht ist jedoch bislang nicht von der Rechtsprechung bestätigt worden und in der Literatur umstritten. Die BA scheint davon auszugehen, dass bereits der singulare Verstoß gegen die Offenlegungs- oder die Konkretisierungspflicht zur Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer führt. In den FW AÜG[553] heißt es dazu wörtlich:

Zitat

"§ 1 Abs. 1 S. 5 und 6 bestimmen das Pflichtenprogramm, welches vor Einsatz des Leiharbeitnehmers zu erfüllen ist. So ist der Vertrag zwischen Ver- und Entleiher ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zu bezeichnen und die Leiharbeitskraft zu konkretisieren. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a sind Arbeitsverträge mit Leiharbeitskräften unwirksam, wenn dieses Pflichtenprogramm nicht vollständig erfüllt ist."

Das gesetzliche "Pflichtenprogramm", bestehend aus § 1 Abs. 1 S. 5 und 6 AÜG, ist allerdings bereits bei einem Verstoß gegen die Offenlegungs- oder die Konkretisierungspflicht "nicht vollständig" erfüllt und nicht erst, wenn die genannten Pflichten kumulativ verletzt werden.

 

Rz. 254

In der Praxis werden die beiden Pflichten allerdings regelmäßig parallel missachtet: wenn die Parteien übereinstimmend davon ausgehen, einen Werk- oder Dienstvertrag abzuschließen und durchzuführen, besteht keine Notwendigkeit eine Arbeitnehmerüberlassung offenzulegen (eine solche ist gerade nicht gewollt) oder die Arbeitnehmer, die an sich gar nicht überlassen werden sollen, vor dem Einsatz zu konkretisieren.

Zu einem Auseinanderfallen kann es aber insbesondere kommen, wenn die Parteien tatsächlich "offen" eine Arbeitnehmerüberlassung in einem Rahmenvertrag vereinbart und dies dort gem. § 1 Abs. 1 S. 5 A...

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