a) Beweislasten auf Patientenseite

aa) Vollbeweis (§ 286 ZPO) bei Behandlungsfehler

 

Rz. 138

Der Patient trägt als Anspruchsteller im Arzthaftungsprozess die Beweislast für den Behandlungsfehler, für den Schaden, für den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Schaden sowie für das Verschulden des Arztes bei gleichzeitig maßvollen Anforderungen an seine Darlegungslast.

Er muss den Sachverhalt, aus dem sich ein Behandlungsverschulden ergeben soll, vortragen und zur vollen Überzeugung des Gerichts beweisen (§ 286 ZPO). Dies gilt sowohl für Ansprüche auf vertraglicher Grundlage als auch für deliktische Schadensersatzansprüche.

bb) Beweislast bei typischem Geschehensablauf – Anscheinsbeweis für Behandlungsfehler (sog. Prima-facie-Beweis)

 

Rz. 139

Hat die patientenseits geklagte Gesundheitsschädigung ihre Ursache typischerweise in einer Abweichung vom erforderlichen Behandlungsstandard, so ist der Anscheinsbeweis zulässig. Voraussetzung ist ein typischer Geschehensablauf, den der Patient beweisen muss.[282] Steht ein typischer Geschehensablauf fest, so kann entweder aus einem festgestellten bestimmten Behandlungsfehler typischerweise auf die Verursachung des Primärschadens oder aus der sicher festgestellten Primärschädigung auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers geschlossen werden.[283] Dabei löst der Prima-facie-Beweis keine Umkehr der Beweislast aus, sondern erleichtert nur die Beweislast des Patienten.

Wegen der Unwägbarkeiten von Eingriffen in den lebenden Organismus ist der Prima-facie-Beweis im Arzthaftungsrecht eher selten.

[282] OLG Koblenz GesR 2009, 383: Realisiert sich spezifisches Risiko einer Behandlung, spricht kein Anscheinsbeweis für ein ärztliches Fehlverhalten; OLG Dresden v. 7.7.2020 – 4 U 352/20 bei zeitlich engem Zusammenhang.
[283] Vgl. statt vieler: Martis/Winkhart, A 160 ff.; Jorzig, MDR 2001, 481, 483.

cc) Beweislast bei Dokumentationsmangel

 

Rz. 140

Eine unterlassene Aufzeichnung einer dokumentationsbedürftigen Maßnahme lässt zunächst nur widerleglich vermuten, dass die Maßnahme nicht ergriffen wurde.[284] Die Rechtsprechung erkennt in dieser Situation eine grundsätzliche Beweislastumkehr auf der Kausalitätsebene nicht an. Betrifft ein Dokumentationsmangel einen Kontrollbefund, so gilt die für die unterlassene Erhebung von Kontrollbefunden entwickelte Rechtsprechung: Fehlt ein Befund, da er nicht dokumentiert wurde, und lässt sich dieser auch nicht durch andere Beweismittel beweisen, so muss ein positives Befundergebnis mit "hinreichender Wahrscheinlichkeit" festgestellt werden, das zu verkennen oder hierauf nicht zu reagieren fundamental fehlerhaft ist, mit den Anforderungen des § 286 ZPO also grob fehlerhaft sein muss, um eine Lücke auf der Kausalitätsebene zu schließen. Nur das, was diagnostisch und therapeutisch Bedeutung im arbeitsteiligen klinischen Betrieb haben kann, ist dokumentationspflichtig. Die Dokumentationsbedürftigkeit einer streitigen Maßnahme muss der Patient mit den Anforderungen des § 286 beweisen, wenn aus der fehlenden Notiz die Vermutung, dass die Maßnahme nicht getroffen worden ist, abgeleitet werden soll. Lücken in der Dokumentation sind kein grundsätzlicher Haftungsgrund an sich. Anderes gilt, wenn z.B. ein Nachbehandler auf der Grundlage unzureichender Dokumentation eine fehlerhafte, d.h. schädigende Therapie einleitet[285] oder wenn es an einer zur Sicherung der Verlaufsbeobachtung gebotenen Dokumentation fehlt.[286] Die Beweiserleichterung wegen eines Dokumentationsfehlers erstreckt sich mithin nicht über die unterbliebene dokumentierte Maßnahme hinaus.

[285] Vgl. statt vieler: Martis/Winkhart, D 433.
[286] OLG Stuttgart VersR 1997, 700.

dd) Beweis des Verschuldens und Verschuldensvermutung

 

Rz. 141

Der Schuldner ist gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB bei festgestellter Pflichtverletzung beweisbelastet dafür, dass ihn kein Verschulden trifft. Gleichwohl ist kaum zu erwarten,[287] dass der BGH im Arzthaftungsrecht von seiner bisherigen Rechtsprechung abrücken und eine Verschuldensvermutung für den Arztvertrag anerkennen wird.[288]

Dies ist auch durch das Patientenrechtegesetz in § 630h BGB deutlich hervorgehoben worden. Von einer Verschuldensvermutung soll nur in wenigen Ausnahmefällen ausgegangen werden.

[287] Vgl. hierzu: Müller, MedR 2001, 487, 490; Rehborn, MDR 2002, 1288; Spickhoff, NJW 2002, 1758, 1762.
[288] A.A.: Katzenmeier, VersR 2002, 1066, 1069.

ee) Beweis der Beherrschbarkeit eines Risikos und Beweis der Zuordnung des Schadens zu diesem Risiko; Fehler- und Verschuldensvermutung

 

Rz. 142

Steht fest, dass der Schaden aus dem voll beherrschbaren Risikobereich eines Arztes/Krankenhausträgers stammt, gilt eine "Fehler- und Verschuldensvermutung".[289]

ff) Beweis des Schadens

 

Rz. 143

Der Beweis von Art und Umfang des Schadens obliegt dem Patienten. Man unterscheidet zwischen dem Erstschaden (Primärschaden) und dem Folgeschaden (Sekundärschaden). Für den Primärschaden gilt das Beweismaß des § 286 ZPO, bei der Erfassung von Sekundärschäden greift § 287 ZPO.[290]

gg) Beweislastumkehr bei "grobem" Behandlungsfehler

 

Rz. 144

Mit der Entscheidung vom 27.4.2004, VI ZR 34/04,[291] hat der BGH Abschied von der Beweiserleichter...

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