Rz. 288

In der Vergangenheit gab es immer wieder Kritik am Pflegebedürftigkeitsbegriff und der daraus folgenden Einteilung in drei Pflegestufen, da hierbei vorwiegend die körperlichen Einschränkungen berücksichtigt wurden. So wurde 2006 durch die Bundesregierung dann auch die Überarbeitung des Pflegebegriffs angestoßen. Die ersten Arbeitsprozesse führten zu dem Ergebnis, dass es eine umfassende Neuregelung geben soll. So wurde festgestellt, dass der bis dahin geltende Begriff der Pflegebedürftigkeit zu kurz gegriffen hat. So soll zukünftig die geistige und psychische Verfassung der Betroffenen mehr Berücksichtigung finden und der Pflegebedürftigkeitsbegriff sowie das Begutachtungsschema generell neu definiert und festgelegt werden. Es soll das Prinzip gelten "ambulant vor stationär". Alle Neuerungen wurden und werden im Zuge der Pflegestärkungsgesetze I–III umgesetzt.

 

Rz. 289

Mit Einführung des Pflegestärkungsgesetzes I zum 1.1.2015 wurden zunächst die Geldleistungen in allen Pflegebereichen erhöht und mit Blick auf Demenzerkrankungen den kognitiven Einschränkungen eine höhere Beachtung geschenkt.

 

Rz. 290

Das Pflegestärkungsgesetz II befasst sich schwerpunktmäßig mit einer neuen Differenzierung bei der Begutachtung. Dieses Gesetz wurde bereits zum 1.1.2016 beschlossen und ist zum 1.1.2017 in Kraft getreten. Die in der Vergangenheit geltenden drei Pflegestufen werden seitdem in fünf Pflegegrade umgewandelt. Das "Neue Begutachtungsassessment" (NBA) ist in sechs Bereiche unterteilt und wird anstelle der bisherigen Zeitmessung nach einem Punktesystem bewertet. Nunmehr werden zukünftig auch die Fähigkeiten der Selbstständigkeit in der Verrichtung alltäglicher Dinge überprüft. Dies wird dazu führen, dass auch Betroffene, die aufgrund geistiger und seelischer Beeinträchtigungen nicht mehr selbstständig ihren Alltag meistern können, in höherem Maße als bisher Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung haben werden.

 

Rz. 291

Durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff seit dem 1.1.2017 haben sich schwerpunktmäßig drei Aspekte grundlegend geändert: Durch die neuen fünf Pflegegrade anstatt der bisherigen drei Pflegestufen wird eine differenzierte Einstufung der Pflegebedürftigen erreicht. Es werden außerdem verbesserte Leistungen für kognitiv und psychisch beeinträchtigte Menschen angeboten und ein neues Begutachtungsschema für Beeinträchtigungen in den folgenden Bereichen Anwendung finden:

Mobilität
Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Belastungen
kognitive und kommunikative Fähigkeiten
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
Gestaltung des Alltags und sozialer Kontakt
Selbstversorgung.
 

Rz. 292

Trotz dieser umfassenden Veränderungen garantiert der Gesetzgeber allen Betroffenen, die im Jahr 2016 bereits eine Pflegestufe hatten und Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung bezogen haben, ab 2017 nicht schlechter gestellt zu werden. Außerdem wird Versicherten mit anerkannter Pflegestufe automatisch und ohne weitere Begutachtung eine der oben dargestellten Pflegegrade zugewiesen.

 

Rz. 293

Mit dem Pflegestärkungsgesetz III beabsichtigt der Gesetzgeber, die Beratung von Pflegebedürftigen, Menschen mit Behinderungen und deren pflegenden Angehörigen ab dem 1.1.2017 von den Kommunen und Gemeinden steuern und koordinieren zu lassen. So sollen die Kommunen und Gemeinden künftig durch Personal und Sachleistungen dazu beitragen, dass Angebote entstehen, welche Pflegepatienten und deren Angehörigen eine Erleichterung ihrer Situation im Alltag ermöglichen und sie entlasten.

 

Rz. 294

Inwieweit die beabsichtigten Ziele des Gesetzgebers in der Praxis erreicht werden können und in welchem Umfang die Pflegestärkungsgesetze auf die Schadensregulierung von Personenschäden Auswirkungen haben werden, bleibt abzuwarten. Dass es jedoch Auswirkungen sowohl in der konkreten als auch in der fiktiven Abrechnung unfallbedingter Pflegekosten geben wird, ist bereits jetzt abzusehen.

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