Rz. 27

Die Gleichheit vor dem Schmerz ist ein wesentlicher Punkt des neuen Schmerzensgeldsystems. Der Schmerz unterscheidet nämlich nicht zwischen arm und reich. Es spielt also keine Rolle, ob ich wohlhabend oder bedürftig bin. Wenn ich einen Dauerschaden habe, habe ich Schmerzen, egal welche Einkommensklasse ich habe. Insofern darf es auch kein unterschiedlich hohes Schmerzensgeld für Reiche oder Arme geben. Es geht – wie bereits erwähnt – um die Lebensbeeinträchtigung, die zu kompensieren ist. Hierbei spielt es keine Rolle, ob der Betroffene jung, alt, arm, reich, ein Mann oder eine Frau ist. Ebenso wenig spielt die Hautfarbe oder die Religion eine Rolle. Die Gleichheit vor dem Schmerz entspricht der Gleichheit vor dem monatlichen Durchschnittseinkommen der Bundesbürger. Deshalb basiert die taggenaue Schmerzensgeldbemessung auf dem durchschnittlichen Monatseinkommen aller Bundesbürger. Dies ist der Wert, der als Grundlage für die Ermittlung des Tagessatzes dient (siehe Rdn 44). Auch dies ist fair und transparent, da das durchschnittliche Monatseinkommen aller Bundesbürger jedes Jahr statistisch erfasst wird. Das Statistische Bundesamt stellt den jeweiligen Wert ins Internet, so dass der aktuelle Wert des Jahres dort entnommen werden kann. Fairness und Transparenz ist also auch für jeden beliebigen Zeitpunkt gewährleistet: Lebenshaltungskosten und die Inflation gelten auch für das Schmerzensgeld, weshalb die Schmerzensgeldbeträge entsprechend dem monatlichen Durchschnittseinkommen jährlich angepasst werden müssen.

 

Rz. 28

Im Ergebnis wird es auf lange Sicht zu einer Erhöhung der Schmerzensgeldzahlungen kommen. Dies ist aber auch gut so und absolut notwendig, weil das bisherige Modell Schmerzensgelder ausgeurteilt hat, die bei weitem nicht angemessen waren. In dem "Handbuch Schmerzensgeld" von Schwintowski und Schah Sedi/Schah Sedi sind viele Verletzungsbeispiele aufgeführt und anhand der Rechtsprechung auf den Tagessatz heruntergerechnet. Es ergeben sich hierbei zum Teil katastrophale Ergebnisse. So gibt es Urteile, in denen ein Geschädigter trotz Dauerschaden 0,48 EUR am Tag Schmerzensgeld erhält. In einigen Fällen sind es Beträge die höher sind. Leider liegen die üblichen Schmerzensgelder, die den Tagessatz betreffen, bei 0,50 EUR bis 3,50 EUR. Dies sind immer die Werte, die zugrunde gelegt wurden, wenn die statistische Lebenserwartung ausgewertet wurde und der Betroffene einen Dauerschaden hat. Dadurch, dass der Betroffene jeden Tag Schmerzen hat, sollte er auch jeden Tag einen Tagessatz als Kompensation für seinen Schmerz erhalten.

 

Rz. 29

Wenn Sie einmal mit Schmerzpatienten gesprochen haben, die jeden Tag vom Aufstehen bis zum Schlafengehen Schmerzen haben, dann wissen Sie, wie diese Menschen leiden. Wenn diese Menschen jetzt am Tag teilweise 0,50 EUR oder 3,50 EUR erhalten, so stellt dies schon einen Affront oder Schlag ins Gesicht der Betroffenen dar. Insofern ist hier dringend Handlungsbedarf geboten, damit die Zahlung von solchen niedrigen Schmerzensgeldern in Deutschland bei Dauerschäden ein Ende hat.

 

Rz. 30

Ein Vergleich mit dem Sachschaden zeigt, dass in Deutschland unterschiedliche Lobbys existieren. Ein Geschädigter, der mit seinem Fahrzeug verunfallt und sein Auto nicht mehr nutzen kann, bekommt z.B. für einen Jaguar XJ 179 EUR pro Tag. Ein Geschädigter, der z.B. eine Amputation eines Beines über sich ergehen lassen musste, bekommt aktuell (je nach Alter) 7 EUR pro Tag. Berücksichtigt man dieses Verhältnis von 179 EUR pro Tag, weil ich meinen Jaguar nicht mehr nutzen kann, oder 7 EUR pro Tag, weil ich mein Bein nicht mehr nutzen kann und zusätzlich einen Phantomschmerz habe, so zeigt diese Rechtsprechung, wie ungerecht zurzeit in Deutschland Schmerzensgelder ausgeurteilt werden. Nach dem neuen Modell der taggenauen Bemessung des Schmerzensgeldes würde diese Person, die vorher 7 EUR pro Tag Schmerzensgeld wegen des Verlusts eines Beines erhalten hat, 149 EUR pro Tag erhalten. Setzt man dies ins Verhältnis zu einem Jaguar, der einen Tag nicht genutzt werden kann, ist dies zwar immer noch ungerecht, aber zumindest ein deutliches Korrektiv. Wenn man mit Geschädigten spricht, denen z.B. ein Bein amputiert wurde, erzählen sie, dass ca. 80 bis 90 % der Lebensqualität plötzlich weg ist. Menschen sind also schon durch den Verlust an sich extrem gezeichnet – warum soll man diese Menschen noch einmal verletzen, indem man ihnen ein Schmerzensgeld von 7 EUR pro Tag zubilligt, anstelle eines Schmerzensgeldes, das zumindest der Situation angemessen ist?

 

Praxistipp

Deshalb auch der Appell an alle Anwälte, die sich mit Schmerzensgeldurteilen beschäftigen, einfach die Gerichte mit dem neuen System zu konfrontieren und zu versuchen, jeden einzelnen Richter von dem neuen System zu überzeugen, um Gerechtigkeit und höhere Schmerzensgeldzahlungen für Geschädigte zu erzielen. Es liegt an den Anwälten, die bisherige Schmerzensgeldpraxis aufzubrechen.

Wir dürfen hierbei auch nie vergessen, dass wir von Haftpflichtrecht red...

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