Rz. 99

Der Ist-Verdienst ermittelt sich unter Berücksichtigung der oben aufgezeigten Zeitfenster aus den tatsächlichen Einnahmen des Geschädigten seit dem Verkehrsunfall bis zum Regulierungszeitpunkt.

 

Rz. 100

Abhängig Beschäftigte erhalten in den ersten sechs Wochen nach dem Unfall ihr Arbeitseinkommen gem. § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz noch vom Arbeitgeber. Ein Erwerbsschaden könnte sich im Einzelfall daraus ergeben, dass die oben erwähnten Zulagen etc. im sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraum vom Arbeitgeber nicht mehr gezahlt werden müssen. Insoweit muss der Geschädigtenvertreter in jedem Falle auch die Entgeltabrechnungen der ersten sechs Wochen nach dem Verkehrsunfall auf derartige Reduzierungen hin überprüfen.

 

Rz. 101

Daran schließt sich regelmäßig der Anspruch auf Zahlung von Krankengeld (§ 44 SGB V) beziehungsweise Verletztengeld (§ 45 SGB VII) an. Hier entsteht bereits die erste Lücke gegenüber dem Nettoentgelt, welches der Geschädigte zum Zeitpunkt des Unfalls verdient hat. Weitere Einnahmearten sind u.a. Arbeitslosengeld (§§ 3 Abs. 1 Nr. 8, 116 Nr. 1, 117 SGB III), ALG II (§ 19 SGB II) und Übergangsgeld (§ 35 SGB VII; § 20 SGB VI). Bei all diesen Einnahmen ist der Nettobetrag zu ermitteln.

 

Praxistipp

Der Rechtsanwalt sollte sich die Abrechnungen der jeweiligen Drittleistungsträger von seinem Mandanten aushändigen lassen. Kontoauszüge lassen den Zeitraum häufig nicht erkennen und genügen daher nicht. Bei der Abrechnung ist zu berücksichtigen, dass Kranken- und Verletztengeld, soweit die Leistungsbeträge in Tagen ermittelt werden, mit 30 Tagen monatlich zu berechnen sind. Bei wöchentlichen Zahlungen ist der Wochenbetrag mit 4,33 zu multiplizieren, um so den Monatsbetrag zu ermitteln. Um sich viel Zeit bei der Berechnung des Erwerbsschadens zu ersparen, empfiehlt es sich, bis zum Abschluss des zweiten Zeitfensters abzuwarten. Regelmäßig erhalten dann die Geschädigten eine Abrechnung der vom Sozialversicherungsträger insgesamt erbrachten Zahlungen. Mithilfe dieser Gesamtabrechnung kann im zweiten Zeitfenster der Ist-Verdienst relativ unproblematisch ermittelt werden. Spätere Verrechnungen der Sozialversicherungsträger untereinander – z.B. bei nachträglich zuerkannter Erwerbsminderungsrente – bringen dann die Erwerbsschadensberechnung des Rechtsanwaltes nicht zu Fall. Für den Zeitraum der Leistung von Entgeltersatzleistungen genügt es, wenn der Anwalt vom Versicherer Vorschusszahlungen auf den überschlägig ermittelten Erwerbsschaden anfordert und eine spezifizierte Schadensbezifferung erst nach Beendigung der Entgeltersatzleistungen am Ende des zweiten Zeitfensters vornimmt.

Wenn der Anspruch auf Kranken- beziehungsweise Verletztengeld und auch gegebenenfalls auf Arbeitslosengeld erschöpft ist, wäre der Geschädigte auf Leistungen nach dem SGB II ("Hartz IV") zu verweisen, soweit er keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente beziehungsweise Verletztenrente hätte. Da es sich dabei um Leistungen der Sozialhilfe handelt, findet der Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) Anwendung. Das bedeutet, dass der Geschädigte immer dann, wenn er einen Erwerbsschadensersatzanspruch hat, Leistungen der Sozialhilfe nicht beanspruchen darf. Umgekehrt heißt das, dass der Versicherer den Geschädigten bei Vorliegen eines Erwerbsschadensersatzanspruchs nicht auf Sozialhilfe verweisen kann.

 

Rz. 102

Der Zeitraum im dritten Zeitfenster ist geprägt durch die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente/Verletztenrente. Für die Bezifferung der Ist-Einnahmen des Geschädigten kann der jeweilige Rentenbescheid des Sozialversicherungsträgers herangezogen werden. Daraus ergibt sich die Nettorente.

 

Praxistipp

Wenn feststeht, dass der Geschädigte auf Dauer Erwerbsminderungsrente/Verletztenrente beziehen wird, kann der Erwerbsschaden für die Vergangenheit sehr einfach beziffert werden.

Der Anwalt muss sich von seinem Mandanten lediglich diejenigen Abrechnungsschreiben beziehungsweise Bescheide des Sozialversicherungsträgers aushändigen lassen, die den gesamten Leistungszeitraum kumuliert erfassen. Gegebenfalls kann der Mandant eine solche Bescheinigung beim Drittleistungsträger für den gesamten zurückliegenden Zeitraum bis zur Schadensbezifferung von dort einholen. Damit steht dann der Nettobetrag der Einnahmen des Geschädigten seit seinem Unfall ohne großen rechnerischen Aufwand in der Schadensbezifferung zur Verfügung.

Zu beachten ist unbedingt, dass Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) und einer privaten Unfallversicherung sowie einer privaten Krankentagegeldversicherung nicht den Ist-Einnahmen hinzuzurechnen sind, weil es sich dabei um anrechnungsfreie Summenversicherungen handelt. Das gilt jedoch nicht bei Leistungen aus einer freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung an den Mandanten. Hier besteht nach der Rechtsprechung Kongruenz.

 

Rz. 103

Wenn sich der Geschädigte der Aufnahme einer zumutbaren (teilweisen) Erwerbstätigkeit widersetzt, werden die erzielbaren (fiktiven) Eink...

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