I. Fußgängerunfall
Rz. 29
Maßgeblich für die Weg-Zeit-Berechnung beim Fußgängerunfall ist die vom Erkennen des Fußgängers als Gefahr bis zum Kollisionsort vergangene Zeit. Diese hängt entscheidend auch von der Gehrichtung des Fußgängers ab. Das Gericht muss deshalb die alternativen Gehrichtungen prüfen (OLG Düsseldorf DAR 2018, 576).
II. Ermittlung der Geschwindigkeit
Rz. 30
Achtung: Diagrammscheiben
Zu Fehlerquellen bei anhand von Tachoscheiben angestellten Vermeidbarkeitsbetrachtungen siehe Hansen und Dietrichsen.[1]
1. Anhand der Bremsspur
Rz. 31
Wenn die Geschwindigkeit nicht bereits aufgrund einer Tachoscheibe oder eines Unfalldatenschreibers feststeht, wird sie von dem Sachverständigen unter Zugrundelegung eines bestimmten Bremsverzögerungswertes anhand der Bremsspurenlänge ermittelt.
2. Kritische Fragen
Rz. 32
Ist die festgestellte Bremsspur überhaupt dem Fahrzeug des Mandanten zuzuordnen?
Rz. 33
Handelt es sich tatsächlich um eine Bremsspur oder nicht u.U. (zum Teil) um eine Schleuder- oder Walkspur oder gar um eine Fahrbahnanomalität?
Rz. 34
Ist auszuschließen, dass der Spurenanfang vom Hinterrad, das Spurende aber vom Vorderrad gezeichnet wurde, so dass die angenommene Bremsspur um den Pkw-Radstand gekürzt werden muss?
Rz. 35
Ist trotz Spurenzeichnung auszuschließen, dass der Pkw einen Verzögerungswert von nur 6 oder 6,5 m/sec erreicht hat – bzw. kann im entgegengesetzten Fall nachgewiesen werden, dass der Pkw tatsächlich 8,0 m/s oder mehr erreichte?
Rz. 36
Hat der Sachverständige bedacht, dass die Fahrbahn im Unfallzeitpunkt nass (oder erheblich verschmutzt) war, so dass der Verzögerungswert entsprechend nach unten korrigiert werden muss?
3. Taktik: Bremsverzögerungswert
Rz. 37
Wenn der Bremsverzögerungswert nicht durch unmittelbar nach dem Unfall durchgeführte Fahrversuche ermittelt wurde, werden i.d.R. vom Sachverständigen Bremsverzögerungswerte auf trockener Fahrbahn von 7–8 m/sec zugrunde gelegt. Darunter liegende Werte werden insbesondere bei deutlicher Spurenzeichnung für unwahrscheinlich gehalten. Der Sachverständige darf daher nicht gefragt werden, ob er einen darunter liegenden Wert für unwahrscheinlich hält, sondern danach, ob er einen solchen Wert ausschließen kann.
4. Fahrzeuge mit Antiblockiersystem (ABS)
Rz. 38
Immer mehr Fahrzeuge sind mit ABS ausgestattet. Da dieses System ein Blockieren der Räder verhindert, können die ansonsten üblichen Bremsspuren nicht mehr festgestellt werden. Es kommt nämlich nicht mehr zur Blockade der Räder und damit auch nicht zu einer Bremsspuren hinterlassenden Reibung auf der Fahrbahnoberfläche. Zwar wird behauptet, dass auch das ABS eine Spur auf der Fahrbahn hinterlasse (sog. Regelungsspur), dies ist jedoch nur bei trockenen Fahrbahnen oder solchen mit hohem Teergehalt, nicht jedoch auf feuchten Fahrbahnoberflächen oder grobkernigen Belägen möglich. Unabhängig davon können solche Spuren allenfalls von einem Sachverständigen sicher erkannt werden.
Rz. 39
Tipp
Neue Möglichkeiten zur Geschwindigkeitsrückrechnung bei ABS, Schimmelpfennig.[2]
III. Reaktionspunkt
1. Ermittlung
Rz. 40
Der Reaktionspunkt wird dadurch ermittelt, indem man den Beginn der Bremsspur um die in der Reaktions- und Bremsschwellzeit zurückgelegte Wegstrecke nach hinten verlängert. Dabei wird die Reaktionswegstrecke umso größer, je länger man die Reaktionszeit eines Kraftfahrers wählt.
2. Taktik: Kürzestmögliche Reaktionszeit
Rz. 41
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Unfall unvermeidbar war, steigt, je näher der Reaktionspunkt zum Kollisionsort liegt (Schaubild: siehe Rdn 12). Je kürzer die unterstellte Reaktionszeit ist, desto näher rückt der Reaktionspunkt zum Kollisionsort. Wenn der Mandant die zulässige Geschwindigkeit überschritten hat, ist bei der Untersuchung der räumlichen und der zeitlichen Vermeidbarkeit daher eine möglichst kurze Reaktionszeit (0,6 s) zu berücksichtigen und zwar deshalb, weil dann die Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass das Fahrzeug auch bei Einhalten der zulässigen Geschwindigkeit den Kollisionsort überfahren hätte.
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