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Ein vor oder hinter dem ausfahrwilligen Fahrzeug abgestelltes und die Ausfahrt versperrendes Fahrzeug kann abgeschleppt werden. Versperren sowohl das vor ihm stehende als auch das hinter ihm stehende Fahrzeug die Wegfahrt, so besteht im Rahmen der Störerauswahl, also bei der Frage, welches von mehreren Fahrzeugen abgeschleppt werden soll, Ermessen, das pflichtgemäß ausgeübt werden muss. Auf der Primärebene der tatsächlichen Gefahrenabwehr (Abschleppen) ist auch dann, wenn zwei Störer unabhängig voneinander die Gefahr verursacht haben ohne dabei bewusst zusammengewirkt zu haben, jeder der Störer als für den gesamten Gefahrenzustand verantwortlich anzusehen.[47] Oberster Auswahlgrundsatz ist das Kriterium der effektiven Gefahrenabwehr. Eine solche Frage stellt sich z.B., wenn ein ordnungsgemäß abgestelltes Fahrzeug durch zwei nachfolgende Kfz zugeparkt wurde und nunmehr dasjenige der beiden Fahrzeuge abgeschleppt wird, durch das das Zuparken gerade nicht verursacht wurde.[48] Ursächlich ist nämlich nur derjenige, der die letzte Ursache für die "Gefahr" gesetzt hat, also derjenige dessen Verhalten die Gefahrengrenze überschritten hat.[49] Spätestens bei der Heranziehung zu den Kosten lässt sich hier eine auf unzutreffendem Sachverhalt beruhende Abschleppentscheidung korrigieren. Anders als bei der Abschleppentscheidung ist hier nicht der Zeitpunkt der Eingriffsentscheidung, sondern die wirkliche Sachlage entscheidend, wie sie sich bei der Abschleppkostenentscheidung objektiv darstellt.[50] Wird der Verursachungsverdacht nachträglich widerlegt und hat der Verdachtsstörer die den Verdacht begründenden Umstände nicht zu verantworten, so bleibt es bei der Maßnahmen- und Kostenlast der Behörde. Dem Verdachtsbetroffenen stünde, wäre er selbst in Anspruch genommen worden, ein polizeirechtlicher Entschädigungsanspruch wie einem Nichtstörer zu.[51] Kann bei der gebotenen ex post-Betrachtung nicht festgestellt werden, dass der Anscheinsstörer tatsächlich Störer war, so ist er nur dann zum Kostenersatz verpflichtet, wenn er die Anscheinsgefahr oder den Anschein der Störereigenschaft in zurechenbarer Art und Weise verursacht hat.[52]

[47] VG Hamburg, Urt. v. 27.9.2010 – 10 K 410/10 unter Hinweis auf BayVGH, Urt. v. 22.4.1992, NJW 1993, 81; BVerwG, Beschl. v. 10.7.1998, NJW 1998, 3582; Denninger in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Auflage 2007, Abschnitt E, Rn 121.
[48] OVG NRW NJW 1993, 2698 = zfs 1993, 358; vgl. auch VG Freiburg zfs 1994, 352. Siehe auch Bodanowitz, JuS 1996, 911.
[49] OVG NRW Beschl. v. 14.6.2000 – 5 A 95/00, NVwZ 2001, 1314 = NZV 2001, 94 = DÖV 2001, 215; VG Bremen v. 17.7.2014 – 5 K 950/13.
[50] OVG NRW NJW 1993, 2698 = zfs 1993, 358.
[51] Im Fall: in analoger Anwendung des § 39 Abs. 1 Buchst. a) OBG NRW, OVG NRW Beschl. v. 14.6.2000 – 5 A 95/00, NVwZ 2001, 1314 = NZV 2001, 94 = DÖV 2001, 215 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 12.3.1992 – III ZR 128/91, DVBl. 1992, 1158; Urt. v. 23.6.1994 – III ZR 54/93, NJW 1994, 2355. Vgl. diesbzgl. auch z.B. Art. 70 BayPAG, § 55 PolG BW, § 80 NdsSOG, § 68 SaarlPolG.
[52] VGH BW, Urt. v. 17.3.2011 – 1 S 2513/10; Urt. v. 20.3.2003 – 1 S 397/01, juris und v. 22.1.2004 – 1 S 2263/02, ESVGH 54, 153 = VBlBW 2004, 218; Urt. v. 10.5.1990 – 5 S 1842/89, DVBl 1990, 1047; BayVGH, Urt. v. 26.7.1995 – 22 B 93.271, DÖV 1996, 82.

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