Rz. 996

Streitfragen zur Mitbestimmung des Betriebsrates bei der betrieblichen Lohngestaltung nehmen in der Praxis und vor Gericht einen breiten Raum ein. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG steht in engem Zusammenhang mit demjenigen nach § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG. Während § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht über die Ausgestaltung des Entgeltes, also über Entgeltarten gewährt, regelt § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG die Mitbestimmung eines Teilbereiches davon weiter, nämlich die Ausgestaltung von Entlohnungsgrundsätzen und Entlohnungsmethoden bei leistungsbezogenen Entgelten. Die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG sollen die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges und die Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit sichern (BAG v. 17.12.1985 – 1 ABR 6/84; BAG v. 3.12.1991 – GS 2/90). Vor diesem Hintergrund bezieht sich die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der betrieblichen Lohngestaltung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG auf die Grundlagen der Lohnfindung, nicht aber auf die Ermittlung der Lohnhöhe. Betriebliche Lohngestaltung bedeutet nach der vom BAG vorgenommenen Begriffsbestimmung die Festlegung abstrakt-genereller (kollektiver) Grundsätze zur Lohnfindung. Es geht um die Strukturformen des Entgeltes einschließlich ihrer näheren Vollziehungsformen. Entlohnungsgrundsatz und Entlohnungsmethode sind Unterbegriffe des umfassenden Begriffes Lohngestaltung. Unter Entlohnungsgrundsatz versteht man das System, nach dem das Arbeitsentgelt bemessen werden soll und seine Ausformung. Unter Entlohnungsmethode ist die Art und Weise der Durchführung des gewählten Entlohnungssystems zu verstehen (BAG v. 22.1.1980 – 1 ABR 48/77).

 

Rz. 997

Wie bei allen anderen Tatbeständen der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 Nr. 1–14 BetrVG ist Voraussetzung, dass überhaupt ein kollektiver Tatbestand infrage steht. Dieser liegt regelmäßig vor, wenn der Arbeitgeber für die Leistung an eine Mehrzahl von Arbeitnehmern einen bestimmten "Topf" vorsieht (BAG v. 10.10.2006 – 1 ABR 68/05). Als Indizien für das Vorliegen eines kollektiven Tatbestandes kommen in Betracht:

Grund und/oder Höhe der Zahlung werden nach Leistungsgesichtspunkten bemessen (BAG v. 22.9.1992 – 1 AZR 459/90; BAG v. 27.10.1992 – 1 ABR 17/92; BAG v. 14.6.1994 – 1 ABR 63/93; BAG v. 29.2.2000 – 1 ABR 4/99);
Anknüpfung an Fehlzeiten (BAG v. 22.9.1992 – 1 AZR 460/90);
Dauer der Betriebszugehörigkeit;
Abhängigkeit von Gehaltserhöhungen in der zurückliegenden Zeit (BAG v. 27.10.1992 –1 ABR 17/92);
Folgen des Wechsels der Tarifgruppe (BAG v. 9.7.1996 – 1 AZR 690/95).
 

Rz. 998

Die Wahrung der unternehmenseinheitlichen Lohngerechtigkeit in Ausübung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG fällt in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, weshalb der örtliche Betriebsrat in diesen Fällen kein Einsichtsrecht in Bruttoentgeltlisten nach § 80 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BetrVG hat (vgl. BAG v. 26.9.2017 – 1 ABR 27/16).

 

Rz. 999

Die individuelle Lohngestaltung, bspw. die Gewährung einer übertariflichen Vergütung im Einzelfall, ist nicht mitbestimmungspflichtig. Dies gilt selbst dann, wenn mehrere Einzelfälle ähnlich geregelt werden. Die Anzahl der Arbeitnehmer, mit denen übertarifliche Löhne oder Gehälter vereinbart werden, kann aber ein Indiz dafür sein, dass ein kollektiver Bezug und damit ein Mitbestimmungstatbestand vorliegen. Entscheidend für die Annahme eines Mitbestimmungsrechtes ist, ob sich aus der Mehrzahl der Fälle ableiten lässt, dass letztlich Strukturformen des Entgeltes auf betrieblicher Ebene geregelt werden sollen, bspw. in der Form, dass einer Mehrzahl von Arbeitnehmern eine übertarifliche Vergütung i.H.d. halben Differenz zur nächsthöheren Vergütungsgruppe (Bildung von Halbgruppen) gewährt wird (BAG v. 18.10.1994 1 ABR 17/94). Nimmt der Arbeitgeber allerdings bei allen umgruppierten Arbeitnehmern eine vollständige Anrechnung einer umgruppierungsbedingten Tarifentgeltsteigerung vor, so besteht laut BAG kein Mitbestimmungsrecht (vgl. BAG v. 24.10.2017 – 1 AZR 346/16). Gewährt der Arbeitgeber mehreren Arbeitnehmern eine einmalige Sonderzahlung, mit der ihr besonderes Engagement in einer Ausnahmesituation nachträglich honoriert werden soll, so kann es sich um einen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtigen kollektiven Tatbestand handeln. Entscheidend ist insoweit, ob ein innerer Zusammenhang zwischen den Zahlungen besteht. Dieser ist typischerweise bei Zahlungen zu bejahen, die nach Leistungsgesichtspunkten erfolgen (BAG v. 29.2.2000 – 1 ABR 4/99). In dem speziellen Fall, dass ein Arbeitgeber vor der erstmaligen Wahl eines Betriebsrates den Arbeitnehmern ein festes Grundgehalt, Zulagen für besondere Umstände und eine jährliche Sonderzahlung gewährt, deren Höhe "jeweils jährlich durch den Arbeitgeber bekanntgegeben" wird, so führt allein die Ausübung seines billigen Ermessens bei der Festsetzung der Höhe der Sonderzahlung nicht zu einer mitb...

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