Rz. 88

Der gewerbliche Lagerhalter ist für den Verlust und die Beschädigung des in seiner Obhut befindlichen Gutes verantwortlich, es sei denn, dass der Verlust oder die Beschädigung auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Lagerhalters nicht abgewendet werden konnte, § 475 HGB. Verlust liegt vor, wenn der Lagerhalter dem Einlagerer auf unübersehbare Zeit den Besitz am Gut nicht verschaffen kann,[104] sei es durch Zerstörung, Abhandenkommen, Beschlagnahme des Gutes oder Auslieferung an einen Nichtberechtigten. Eine Beschädigung liegt vor, wenn das Gut in seiner Substanz verändert oder beeinträchtigt wird und dadurch eine Minderung des Verkehrswerts eintritt (z.B. Frischeverlust bei Röstkaffee).[105] Ist ein Schaden während der Obhutszeit des Lagerhalters eingetreten, ist es seine Sache, sich zu entlasten. Der Entlastungsbeweis setzt in der Regel eine lückenlose Schadensaufklärung voraus. Bei Feuer genügt der Lagerhalter der ihm obliegenden Entlastungspflicht bereits, wenn er im Allgemeinen nachweist, dass er das Lagergut sorgfältig aufbewahrt hat, auch wenn die Brandursache als solche sich nicht aufklären lässt.[106] Der Entlastungsbeweis setzt weiterhin voraus, dass der Lagerhalter alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um das Gut vor Schäden zu schützen. In welchem Umfang z.B. die Bewachung und Sicherung eines Lagers notwendig ist, hängt u.a. von der Beschaffenheit und Lage des Lagers, dem Wert des Lagergutes und dem Aufwand für die Bewachung ab, die in einem wirtschaftlich vernünftigen Verhältnis stehen müssen.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen ist die Haftung des Lagerhalters der Höhe nach nicht beschränkt. Das Risiko muss aber für den Lagerhalter überschaubar bleiben. Werden keine AGB wie die ADSp dem Vertrag zugrunde gelegt, bietet es sich an, bestimmte Maxima je kg, je Schadenfall, je Schadenereignis – insbesondere zur Abdeckung des den Lagerhalter treffenden Großschadenrisikos (Kumulrisiko) – oder per anno in den Vertrag aufzunehmen (vgl. Rdn 66 f.).

Um die Haftung aus dem Lagergeschäft wirtschaftlich sinnvoll zu begrenzen, werden immer häufiger auch besondere Haftungsregelungen über Fehlbestände, insbesondere bei Inventurdifferenzen getroffen. Zu denken ist hier an Regelungen über eine Vorteilsausgleichung, wo bei gleichzeitigem Fehl- und Mehrbeständen, ggf. für bestimmte Güterarten oder auch warengruppenübergreifend, eine wertmäßige Saldierung erfolgt (vgl. Nr. 15.6 ADSp). Möglich ist es auch, den Lagerhalter bis zu einer bestimmten "Schwundgröße" von der Haftung freizustellen. Üblich sind auch gesonderte Haftungshöchstsummen bei Inventurdifferenzen (vgl. Nr. 24 ADSp) oder die Tragung eines "Selbstbehalts" durch den Einlagerer. Zu Beginn einer Geschäftsbeziehung ist es auch üblich, während einer "Probezeit" für den Lagerhalter qualitativ niedrige Anforderungen vorzusehen, um Anlaufschwierigkeiten Rechnung zu tragen.

Das gesetzliche Lagerrecht kennt keine Vorschriften zur Schadensberechnung oder zur Haftungsbegrenzung. Es gilt nicht wie im frachtrechtlichen Haftungssystem das Wertersatzprinzip, sondern das Schadensersatzprinzip, wonach jeder der geschädigten Person entstandene Schaden zu ersetzen ist, §§ 249 ff. BGB.[107]

[104] Andresen/Valder, § 475 HGB Rn 15, MüKo/Hesse, HGB, § 475 Rn 4.
[105] Andresen/Valder, § 475 HGB Rn 16 ff.; MüKo/Hesse, HGB, § 475 Rn 5.
[106] Siehe auch RG v. 13.2.1884 – Rep. I. 500/83, RGZ 11, 132.
[107] Andresen/Valder, § 475 HGB Rn 19 f.; MüKo/Hesse, HGB, § 475 Rn 18 ff., Koller, § 475 HGB Rn 4.

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