1. Einstellung des Verfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts

a) Typischer Sachverhalt

 

Rz. 87

Anhand der Aktenlage konnte Rechtsanwalt R feststellen, dass in mehreren Zeugenvernehmungen der von Herrn A geschilderte Sachverhalt bestätigt wurde. Zwar berichtete Frau C zunächst das Gleiche wie Herr B, der den Vorfall bestreitet. Aufgrund weiterer Nachfragen gab diese aber schließlich an, sich nicht mehr zu erinnern. Wegen der Sachverhaltsschilderung von Herrn A und der Bekundungen der anderen Zeugen sieht der Verteidiger die Möglichkeit, eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Herrn A zu erreichen. Ein hinreichender Tatverdacht sei hier schon nach Aktenlage nicht gegeben, weil Herr A beim Niederschlagen von Herrn B offensichtlich in Nothilfe für Frau C gehandelt habe.

Der Rechtsanwalt wird deshalb nunmehr eine Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft richten und diese mit einem Antrag auf Einstellung des Verfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts verknüpfen.

b) Rechtliche Grundlagen

 

Rz. 88

Die Staatsanwaltschaft unterliegt dem Legalitätsgrundsatz. Sie ist demnach zur Aufnahme von Ermittlungen gem. § 152 Abs. 2 StPO verpflichtet und muss Anklage erheben, wenn die Ermittlungen einen ausreichenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten, § 170 Abs. 1 StPO. Dies ist der Fall, wenn gegen den Beschuldigten ein hinreichender Tatverdacht i.S.v. § 203 StPO besteht. Ein solcher ist gegeben, wenn eine Verurteilung in der Hauptverhandlung wahrscheinlich ist. Für die Verurteilungswahrscheinlichkeit können sowohl tatsächliche als auch rechtliche Gründe sprechen. Soll eine Anklage verhindert und eine Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts erreicht werden, sind demnach alle tatsächlichen und rechtlichen Gründe aufzuführen, welche eine Verurteilungswahrscheinlichkeit zunichtemachen. Je genauer und ausführlicher ein Einstellungsantrag begründet ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, die Staatsanwaltschaft zu einer Einstellung des Verfahrens zu bewegen. Der Antrag auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts ist die erfolgversprechendste Intervention des Strafverteidigers im Vorverfahren.[39]

[39] Ausführlich zum Antrag auf Einstellung: Breyer/Endler-Dehne-Niemann, AnwaltFormulare Strafrecht, Kap. 2 Rn 466 ff.; Löffelmann/Walther/Reitzenstein, Das strafprozessuale Ermittlungsverfahren, S. 303 ff.

c) Muster: Antrag gem. § 170 Abs. 2 StPO

 

Rz. 89

Zu einem möglichen Informationsschreiben an den Mandanten vgl. etwa Sattler, AnwaltFormulare Mandanteninformationen, § 11 Rn 10.

Muster 41.16: Antrag gem. § 170 Abs. 2 StPO

 

Muster 41.16: Antrag gem. § 170 Abs. 2 StPO

An die Staatsanwaltschaft _____

Az. _____

In dem Ermittlungsverfahren gegen _____ wegen _____

wird beantragt, das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.

Begründung:

_____ wird zur Last gelegt, _____. Der Vorwurf der _____ ist jedoch aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht haltbar.

I. Tatsächliche Würdigung

_____ (Darstellung des Sachverhalts anhand der Angaben des Mandanten sowie der vernommenen Zeugen unter direkter Bezugnahme auf die jeweiligen Aktenseiten; widersprüchliche Aussagen müssen gegenübergestellt und entkräftet werden, z.B. verfälschte Erinnerungen, Erinnerungslücken, Fehlinterpretationen, Belastungstendenzen, Perspektive, fehlende Sachkenntnis, Lüge etc.)

II. Rechtliche Würdigung

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft soll Herr A den vermeintlich Geschädigten B tätlich angegriffen haben. Ein Angriff durch Herrn A ist jedoch in Wirklichkeit nicht erfolgt. Der erste Angriff erfolgte allein durch den vermeintlich Geschädigten B gegen die Zeugin C, und zwar in Form gewaltsamen Zupackens und Wegziehens.

Bereits diese Situation rechtfertigte ein sofortiges körperliches Einschreiten von Herrn A im Rahmen der Nothilfe. _____ (Darlegen der Nothilfesituation zugunsten von Frau C; Aufgreifen der Tatbestandsmerkmale wie "unmittelbarer rechtswidriger Angriff", "Gebotensein", "kein Aufdrängen der Hilfe" etc.)

Als Herr A dann versuchte, die Zeugin C zu befreien, wurde er vom vermeintlich Geschädigten B umklammert. Dieser drückte sofort den Hals von Herrn A zu und würgte ihn. _____ (Aufzeigen der Notwehrsituation zugunsten von Herrn A selbst.)

Herr A hatte überdies darauf geachtet, den vermeintlich Geschädigten B nicht mehr als nötig zu attackieren. Aus diesem Grunde schlug er auch nicht wahllos auf dessen Gesicht ein, wobei er Augen, Nase, Mund etc. hätte verletzen können, sondern ganz bewusst nur auf die Stirn des Zeugen. _____ (Darlegen des Fehlens einer gefährlichen Körperverletzung wegen der Schläge auf die Stirn.)

Herr A war mithin gerechtfertigt. Er handelte in Notwehr bzw. -hilfe gem. § 32 StGB und damit nicht rechtswidrig i.S.v. § 224 StGB. Der strafrechtliche Vorwurf einer vorsätzlichen einfachen oder gefährlichen Köperverletzung ist nicht begründet.

Aus den genannten tatsächlichen und rechtlichen Gründen ist kein hinreichender Tatverdacht bezüglich eines strafrechtlich relevanten Verhaltens meines Mandanten gegeben.

(Rechtsanwalt)

2. Einstellungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft vor Klageerhebung

a) Typischer Sachverhalt

 

Rz. 90

In der Ehe zwischen Herrn A und Frau A gibt es seit längerem Probleme. Eines Abends kam Herr A früher nach Hause und sah das ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge