Rz. 313

Grundsätzlich darf und muss der Angeklagte bei der Hauptverhandlung persönlich anwesend sein.[148] Ist dies nicht der Fall, kann darauf die Revision nach § 338 Nr. 5 StPO gestützt werden. Andererseits gibt es eine Fülle von Ausnahmetatbeständen, wie etwa die §§ 231 Abs. 2, 231a–231c, 232, 233 StPO. Der § 247 StPO stellt dagegen einen Fall der lediglich vorübergehenden Entfernung des Angeklagten dar, weil sich diese lediglich auf die Vernehmung eines Zeugen oder Mitangeklagten erstreckt. Die Frage, wie sich die Verteidigung hierzu stellen soll, ist nicht allgemein zu beantworten, sondern hängt von den konkreten Umständen des Falles ab. Der Verteidiger sollte sich fragen, ob er das den Angeklagten und den Aussagenden umfassende Beziehungsgeflecht richtig einzuschätzen vermag. Nicht selten hat die persönliche Anwesenheit des Angeklagten eine positiv-kontrollierende Wirkung auf den Zeugen. Im Zweifel sollte die Verteidigung aber (deklaratorisch) zustimmen. Dies nicht so sehr, weil kaum Schaden für den Angeklagten entstehen kann, wenn der Verteidiger angemessen vorbereitet ist, sondern auch deswegen, weil die Revision nach § 338 Nr. 5 StPO wegen unzulässiger Entfernung selbst dann möglich ist, wenn der Angeklagte zugestimmt hat. § 247 StPO unterscheidet vier Entfernungsalternativen:

 

Rz. 314

Entfernung wegen der Gefährdung der Wahrheitsfindung, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass ein Mitangeklagter oder ein Zeuge in Anwesenheit des Angeklagten keine wahrheitsgemäße Aussage macht, § 247 Abs. 1 S. 1 StPO;
Entfernung zum Schutz einer Person unter 18 Jahren, wenn durch die Anwesenheit des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das seelische oder körperliche Wohl des Zeugen zu befürchten ist, § 247 S. 2 Alt. 1 StPO;
Entfernung zum Schutz erwachsener Zeugen, wenn durch die Anwesenheit des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit der Zeugen besteht, § 247 S. 2 Alt. 2 StPO;
Entfernung zum Schutz des Angeklagten, wenn durch die Erörterung über seinen Zustand und seine Behandlungsaussichten ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist, § 247 S. 3 StPO.
 

Rz. 315

In allen Fällen bedarf es für die Entfernung des Angeklagten nach Anhörung aller Beteiligten eines förmlichen Gerichtsbeschlusses, der zu begründen ist. Ausweislich des Wortlautes darf der Angeklagte nur für die Zeit der Vernehmung entfernt werden, hat also das Recht, spätestens zur Verhandlung über die Vereidigung und dann bei der Vereidigung bzw. bei Nichtvereidigung des Zeugen zur Verhandlung über die Entlassung anwesend zu sein. Der Angeklagte besitzt, im Anschluss an die Unterrichtung über den wesentlichen Inhalt der Vernehmung durch den Richter,[149] das Recht, an den Zeugen Fragen zu stellen. Umfasst der die Entfernung regelnde Beschluss nicht die gesamte Vernehmung, darf der Angeklagte bei der Beantwortung seiner Fragen anwesend bleiben. Während der Zeit der Abwesenheit sind andere Beweiserhebungen als die Vernehmung des Zeugen unzulässig und müssen in Anwesenheit des Angeklagten wiederholt werden.

[148] Weiterführend Peter, 1x1 der Hauptverhandlung, S. 117 ff.
[149] Vgl. BGHSt 26, 228 – dessen Grundsatz aber durch BGHSt 37, 49 eingeschränkt wird; BGH StV 1997, 511; BGH StV 1998, 331; BGH NStZ 2007, 352. Die Unterrichtung ist vor jeder weiteren Verfahrenshandlung erforderlich, BGHSt 38, 260 (auch wenn der Angeklagte während der Ausschließung in einem anderen Raum die Gelegenheit erhält, die dorthin in Bild und Ton übertragene Zeugenaussage zu verfolgen, BGH NStZ 2006, 116) und liegt hinsichtlich des Inhalts und Umfangs im Ermessen des Gerichts, BGHSt 1, 350.

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