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Verkehrsbereiche nach dem "Shared Space”-Ansatz sollen zu einer Verbesserung der Sicherheit und der Aufenthaltsqualität von innerörtlichen Straßenräumen führen. Shared Space bedeutet so viel wie "gemeinsam genutzter Raum". Im Zusammenhang mit dem Straßenraum ist hier an einen gemeinschaftlich und gleichberechtigt genutzten Raum zu denken. Grundgedanke und Ausgangspunkt von Shared Space sind die Überlegungen dass der Verkehrsraum überreguliert ist ("Schilderwald") und dass der motorisierte Verkehr dominiert. Shared Space als Planungsphilosophie will diesen Straßenraum im Sinne von mehr Lebensqualität lebenswerter und sicherer machen; Verkehrssicherheit durch Deregulierung. "Alle haben Vorfahrt" und "Wachsende Unsicherheit macht das Fahren sicherer" titelte Rauterberg in der "Zeit".[62] Der Arbeitskreis VII beim 50. VGT 2012 steht dem kritisch gegenüber.[63] Im Auftrag der BASt analysierte das Büro für Stadt- und Verkehrsplanung (BSV) Aspekte des Verkehrs- und Interaktionsverhaltens, der Verkehrssicherheit sowie der Gestaltung. Ziel war die Erarbeitung von Empfehlungen, mit denen sich unter spezifischen Bedingungen örtlich angepasste Lösungen finden lassen. Dabei sollten Gesichtspunkte der Verkehrssicherheit, des Verkehrsablaufs sowie der städtebaulichen und straßenräumlichen Qualität abgewogen werden. Anhand von 17 Fallbeispielen (mit z.T. unterschiedlichen Ansätzen aus Deutschland, den Niederlanden, Schweiz, Frankreich) untersuchte die BASt die Einsatzbereiche und -grenzen von Straßenumgestaltungen mit ähnlichen Gestaltungsansätzen. Die Forschungsergebnisse erlauben über eine verkehrsrechtliche Einordnung hinaus Handlungsempfehlungen zur optimierten Gestaltung.[64] Für eine erfolgreiche Umsetzung des "Shared Space”-Ansatzes bedarf es der Einheit von Planung, Bau und Betrieb, insbesondere im Zusammenspiel der städtebaulichen Gestaltung und der verkehrsrechtlichen Ausweisung.[65] Auf Basis der Forschungsergebnisse wurde von der BASt eine aktualisierte Fassung der "Hinweise zu Straßenräumen mit besonderem Querungsbedarf – Anwendungsmöglichkeiten des “Shared Space‘-Gedankens" erarbeitet.“[66]""

[62] Die Zeit, Nr. 31 v. 28.7.2011, S. 48.
[63] Der Arbeitskreis VII beim 50. VGT 2012 empfiehlt zum Verkehrsraum der Zukunft:

I. Der Verkehrsraum der Zukunft muss insbesondere die demografische Entwicklung berücksichtigen. Es muss künftig verstärkt auf die Belange der ungeschützten Verkehrsteilnehmer Rücksicht genommen werden. Insgesamt ist die Sicherheit und Teilhabe aller Verkehrsteilnehmer angemessen zu gewährleisten. Die unreglementierte Durchmischung der Verkehre bietet dazu keine Lösung.

II. Das deutsche Recht kennt keinen Straßenraum ohne Verkehrsregeln, wie ihn manche Vertreter der Shared Space-Idee befürworten. Eine Abkehr von diesem Grundsatz ist weder wünschenswert noch praktikabel. Ein Rückzug des Gesetzgebers müsste zwangsläufig wegen notwendiger Entscheidungen über Haftungsfragen zur Herausbildung eines richterlichen Fallrechts führen.

III. Die vorhandenen Instrumentarien der StVO samt der die Verordnung begleitenden Allgemeinen Verwaltungsvorschriften reichen aus, um die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs auch im Lichte einer die Aufenthaltsfunktion steigernden Verkehrsberuhigung zu gewährleisten. Für örtlich begrenzte Verkehrsräume mit hohem Querungsbedarf durch Fußgänger ist besondere und umfassende Rücksichtnahme der Kraftfahrer gegenüber den Fußgängern geboten. Dazu empfiehlt der Arbeitskreis die Ausschöpfung der vorhandenen Instrumente wie den verkehrsberuhigten Geschäftsbereich oder den verkehrsberuhigten Bereich. Dabei bietet sich Ersterer für Geschäftsstraßen mit Verbindungsfunktion und Letzterer für Straßen mit geringem Fahrzeugverkehr und überwiegender Aufenthaltsfunktion an. Der Arbeitskreis empfiehlt mit Blick auf künftige Entwicklungen, das Reglementarium einer ständigen Evaluierung und ggf. erforderlichen Anpassung – unter Einschluss der Fußgängervorschriften beim Überqueren der Fahrbahn – zu unterziehen.

IV. Der Staat schuldet sichere Verkehrsräume. Shared Space leistet keinen Beitrag zur Verbesserung der Verkehrssicherheit. Ein Vortrittsrecht für Fußgänger ist nur in Bereichen möglich, in denen sich die Fahrzeugführer mit Schrittgeschwindigkeit bewegen. Ein derart niedriges Geschwindigkeitsniveau ist Straßen mit überwiegender Aufenthaltsfunktion vorbehalten. Dies erfordert eine entsprechend wirksame bauliche Gestaltung des Straßenraumes sowie eine flankierende Öffentlichkeitsarbeit.

V. Der aus eigener Verantwortung richtig handelnde Verkehrsteilnehmer ist die beste Garantie für die Verkehrssicherheit. Richtiges Verhalten wird gefördert durch selbsterklärende Verkehrsräume. Diese benötigen über die bestehenden Grundregeln des Straßenverkehrsrechts hinaus nur ein Mindestmaß an zusätzlichen Verkehrszeichen. Der Arbeitskreis empfiehlt daher, das bestehende Instrument der in regelmäßigen Abständen durchzuführenden Verkehrsschau zum Abbau des Schilderwaldes und zur Überprüfung der verbleibenden...

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