I. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB

 

Rz. 38

Die Anwendbarkeit der kollektivrechtlichen Normen aus Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung nach Übergang der wirtschaftlichen Einheit wird in § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB geregelt. Der Grund der eigenständigen Regelung liegt darin, dass Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, die in der übergegangenen wirtschaftlichen Einheit Anwendung gefunden haben, nicht von § 613a Abs. 1 S. 1 BGB erfasst werden, denn diese sind nicht Bestandteil der Arbeitsverhältnisse. Sie wirken vielmehr auf das Arbeitsverhältnis von außen unmittelbar und zwingend ein (§ 4 Abs. 1 TVG, § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG). Gem. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB findet eine Transformation der Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen in die Arbeitsverträge statt, allerdings nur soweit sie nicht kollektivrechtlich weiterwirken. Mithin handelt es sich bei § 613a Abs. 1 S. 2–4 BGB um eine Auffangregelung. Durch die Transformation verlieren die kollektivrechtlichen Regelungen ihre unmittelbare und zwingende Wirkung und es kommt zu einer individualrechtlichen Fortgeltung, die einer einjährigen Veränderungssperre zum Nachteil des Arbeitnehmers unterliegt. Der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung muss allerdings im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits gelten. Diese Transformation gilt auch für Rechte und Pflichten, die vor dem Betriebsübergang vereinbart wurden, aber erst nach diesem wirksam werden sollen (BAG v. 19.9.2007 – 4 AZR 711/06).

 

Rz. 39

Nachwirkende Tarifnormen werden auch in das Arbeitsverhältnis transformiert (BAG v. 27.11.1991 – 4 AZR 211/91; ErfK/Preis, § 613a BGB Rn 112; a.A. Heinze, DB 1998, 1861, 1862). Die Transformation in das Arbeitsverhältnis ändert aber nichts daran, dass diese Tarifnormen nach § 4 Abs. 5 TVG jederzeit durch eine andere Abmachung ersetzt werden können (BAG v. 17.5.2000 – 4 AZR 363/99 m.w.N.; BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 82/00). Aus Sinn und Zweck des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB folgt nur, dass die Rechtspositionen des Arbeitnehmers erhalten bleiben sollen. Bei lediglich nachwirkenden und somit nicht zwingenden kollektiven Regelungen war die Rechtsposition bereits vor dem Betriebsübergang abänderbar.

Für Streitigkeiten zur Klärung einer Transformation tariflicher Regelungen ist die Feststellungsklage zulässig (s. ausführlich: BAG v. 3.7.2013 – 4 AZR 961/11).

 

Rz. 40

Ausgehend von den Verhältnissen im Zeitpunkt des Betriebsüberganges sorgt § 613a Abs. 1 S. 2 BGB für eine Besitzstandswahrung auf arbeitsvertraglicher Ebene (BAG v. 13.9.1994 – 3 AZR 148/94). Die tarifvertraglichen Regelungen werden demnach mit dem Inhalt, den sie im Zeitpunkt des Betriebsüberganges haben, Bestandteil des Arbeitsvertrages, sie gelten statisch. Spätere tarifvertragliche Änderungen werden auch dann nicht mehr erfasst, wenn sie rückwirkend gelten sollen (BAG v. 13.11.1985 – 4 AZR 309/84; BAG v. 10.11.1993 – 4 AZR 375/92; BAG v. 13.9.1994 – 3 AZR 148/94). Für den Arbeitgeber besteht dabei keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer, also zur Anpassung der vorhandenen Arbeitsbedingungen der alten, eigenen Arbeitnehmer an die transformierten früheren Betriebsvereinbarungen der neuen Arbeitnehmer (BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04). Nach Ablauf der Veränderungssperre von einem Jahr richten sich die Rechtsbeziehungen der Parteien zwar nach diesen zum Inhalt des Arbeitsvertrages gewordenen Regelungen, sie können dann aber – unter Beachtung der Voraussetzungen für die soziale Rechtfertigung – nach Änderungskündigung auch zum Nachteil des Arbeitnehmers neu gefasst werden oder wegfallen. Nach bislang überwiegender Ansicht kann allein die Berufung auf die Grundsätze der Tarifeinheit oder aber eine Gleichbehandlung eine Änderungskündigung nicht rechtfertigen (Schiefer/Pogge, NJW 2003, 3734, 3738). An der Weiterentwicklung der Rechte und Pflichten der bisherigen Kollektivvereinbarungen nehmen die Arbeitnehmer grds. nicht mehr teil. Etwas anderes kann gelten, wenn der Tarifvertrag auch bei tarifgebundenen Arbeitnehmern im Individualvertrag durch eine Bezugnahmeklausel in das Arbeitsverhältnis einbezogen wird (vgl. hierzu Rdn 54).

II. Kollektivrechtliche Weitergeltung

 

Rz. 41

Verbandstarifverträge gelten im Fall beiderseitiger Tarifbindung (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG) oder Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 Abs. 4 TVG) kollektivrechtlich weiter, ohne dass es der Auffangregelung des § 613a Abs. 1 S.2–4 BGB bedarf (BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00). Sie verlieren ihre bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehende zwingende normative Wirkung, wenn es an der Tarifbindung fehlt, sich die Tarifzuständigkeit ändert oder die übernommenen Betriebe oder Betriebsteile organisatorisch aufgelöst werden, sodass sie dann nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB nur noch individualrechtlich weiter gelten (Berscheid, KGS, "Betriebsübergang/Betriebsinhaberwechsel", Rn 144 m.w.N.).

 

Rz. 42

Da die Tarifbindung bei einem Verbandstarifvertrag von der Verbandsmitgliedschaft abhängt, besteht für den Betriebserwerber nur Tarifbindung, wenn er in demselben Verband wie der Betriebsveräußerer organisiert ist. Die Verbandsmitgliedsc...

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