Rz. 14

Die Frage, ob eine Differenzierung zwischen verschiedenen Teilunterhaltsansprüchen überhaupt noch erforderlich ist, mag hier dahinstehen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist diese Differenzierung noch geboten.

Danach gilt für das Verhältnis Betreuungsunterhalt/Aufstockungsunterhalt:

Entscheidend ist, ob die Unterhaltsberechtigte eine vollschichtige angemessene Erwerbstätigkeit ausübt oder aber ausüben kann.

 

BGH, Urt. v. 21.4.2010 – XII ZR 134/08

Für die Abgrenzung der Anspruchsgrundlagen wegen eines Erwerbshindernisses aus §§ 1570 bis 1572 BGB und aus § 1573 Abs. 2 BGB (Aufstockungsunterhalt) ist zu unterscheiden, ob wegen des vorliegenden Hindernisses eine Erwerbstätigkeit vollständig oder nur zum Teil ausgeschlossen ist (BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 Tz. 20 m.w.N.).

Es muss sich um eine angemessene Erwerbstätigkeit handeln.

 

§ 1574 Angemessene Erwerbstätigkeit

(1) Dem geschiedenen Ehegatten obliegt es, eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben.

(2) Angemessen ist eine Erwerbstätigkeit, die der Ausbildung, den Fähigkeiten, einer früheren Erwerbstätigkeit, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand des geschiedenen Ehegatten entspricht, soweit eine solche Tätigkeit nicht nach den ehelichen Lebensverhältnissen unbillig wäre. Bei den ehelichen Lebensverhältnissen sind insbesondere die Dauer der Ehe sowie die Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes zu berücksichtigen.

(3) Soweit es zur Aufnahme einer angemessenen Erwerbstätigkeit erforderlich ist, obliegt es dem geschiedenen Ehegatten, sich ausbilden, fortbilden oder umschulen zu lassen, wenn ein erfolgreicher Abschluss der Ausbildung zu erwarten ist.

Angemessenheit verlangt, dass die Tätigkeit nach den ehelichen Verhältnissen nicht unbillig ist.

 

BGH, Urt. v. 18.1.2012 – XII ZR 178/09

Die seit dem 1.1.2008 geltende Neufassung bestimmt die Angemessenheit hingegen vorrangig nach der Ausbildung, den Fähigkeiten, einer früheren Erwerbstätigkeit, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand des geschiedenen Ehegatten.

Die ehelichen Lebensverhältnisse kommen im Gegensatz zur früheren Rechtslage nur noch insoweit zum Tragen, als die Tätigkeit nicht mehr angemessen ist, soweit sie nach den ehelichen Lebensverhältnissen unbillig wäre. Das Merkmal der ehelichen Lebensverhältnisse ist demnach kein "gleichberechtigtes" Merkmal zur Prüfung der Angemessenheit mehr, sondern hat nur noch die Funktion eines Billigkeitskorrektivs (BT-Drucks 16/1830 S. 17).

Auch Teilzeitbeschäftigungen können in Summe eine angemessene Erwerbstätigkeit darstellen.

 

BGH, Urt. v. 11.7.2012 – XII ZR 72/10 Tz. 24

Denn auch die Übernahme von zwei Teilzeitbeschäftigungen kann grundsätzlich eine "angemessene" Erwerbstätigkeit im Sinne von §§ 1573 Abs. 1, 1574 BGB sein (Urt. v. 25.10.2006 – XII ZR 190/03, FamRZ 2007, 200, 202).

Aber bei Vollzeittätigkeit ist zu beachten, ob die Tätigkeit teilweise überobligationsgemäß ist:

 

BGH, Beschl. v. 1.10.2014 – XII ZB 185/13 Rn 18 = BeckRS 2014, 20197

aa) Allein aus dem Umfang einer tatsächlich ausgeübten Erwerbstätigkeit kann nicht geschlossen werden, dass ein Erwerbshindernis in Form der Kinderbetreuung nicht besteht. Wenn der betreuende Ehegatte etwa vollschichtig erwerbstätig ist, obwohl kind- oder elternbezogene Gründe (§ 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 BGB) vorliegen, die einen fortdauernden Unterhaltsanspruch rechtfertigen würden, ist die Tätigkeit als überobligationsmäßig zu bewerten. Ob und in welchem Umfang das Einkommen des unterhaltsberechtigten Ehegatten dann unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen ist, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Dabei kann die freiwillige Ausübung einer Berufstätigkeit ein maßgebendes Indiz für eine Vereinbarkeit von Kindererziehung und Arbeitsmöglichkeit im konkreten Einzelfall sein. Ein überobligatorisch erzieltes Einkommen ist bei der Unterhaltsbemessung deshalb nicht von vornherein unberücksichtigt zu lassen. Über die Anrechnung ist vielmehr nach Treu und Glauben unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (Senatsurteile BGHZ 162, 384 = FamRZ 2005, 1154, 1156 und vom 21.4.2010 – XII ZR 134/08, FamRZ 2010, 1050 Rn 37). Soweit das Einkommen danach außer Betracht zu bleiben hat, ergibt sich ein Unterhaltsanspruch des Ehegatten weiterhin aus § 1570 BGB, denn er ist insoweit wegen der Kinderbetreuung unterhaltsbedürftig.

a) Angemessene Vollzeittätigkeit

 

Rz. 15

Wenn der betreuende Elternteil eine vollschichtige angemessene Erwerbstätigkeit ausübt oder ausüben kann, hat der Betreuungsunterhalt keine Bedeutung. Ein Unterhaltsanspruch kann sich dann nur in Form eines Aufstockungsunterhalts ergeben (§ 1573 Abs. 2 BGB).

 

BGH, Urt. v. 11.7.2012 – XII ZR 72/10 Tz. 21

Allerdings setzt der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB nach der Systematik des Gesetzes voraus, dass der geschiedene Ehegatte eine angemessene Erwerbstätigkeit ausübt oder ausüben könnte und daher nicht bereits aufgrund eines anderen gesetzlichen Tatbestandes (§§ 1570 bis 1572, 1573 Abs. 1 und 4 BGB) Anspruch auf Unterhalt hat (vgl. Ur...

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