Rz. 1

BGH, Urt. v. 29.4.2003 – VI ZR 398/02, zfs 2003, 405 = VersR 2003, 920

Zitat

BGB § 249

Der Geschädigte, der fiktive Reparaturkosten abrechnet, darf der Schadensberechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen. Der abstrakte Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten einer Region repräsentiert als statistisch ermittelte Rechengröße nicht den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag.

a) Der Fall

 

Rz. 2

In dem Urteil vom 29.4.2003 – VI ZR 398/02, VersR 2003, 920, der sogenannten Porsche-Entscheidung, ging es um die fiktive Abrechnung von Reparaturkosten nach den Stundenverrechnungssätzen einer markengebundenen (Porsche-)Fachwerkstatt.

Die Klägerin hatte nach einem Unfall ihren Porsche unrepariert weiterveräußert und rechnete ihren Schaden auf der Basis eines Sachverständigengutachtens ab. Der Haftpflichtversicherer erkannte lediglich einen niedrigeren Betrag auf der Basis mittlerer ortsüblicher Stundenverrechnungssätze an, welche die von DEKRA unter Einbeziehung aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten in der Region ermittelt hatte. Die Klägerin klagte den Differenzbetrag ein, den ihr das Amtsgericht zusprach, das Berufungsgericht jedoch versagte. Die zugelassene Revision der Klägerin führte zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

b) Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 3

Das Berufungsgericht hatte gemeint, die Zubilligung fiktiver Reparaturkosten entsprechend den Kosten einer Fachwerkstatt widerspreche dem Wirtschaftlichkeitsgebot "in strengem Sinne". Die Klägerin habe weder bestritten, das mit dem vom Haftpflichtversicherer regulierten Betrag eine ordnungsgemäße Reparatur des Fahrzeugs außerhalb einer Porsche-Vertragswerkstatt möglich gewesen wäre, noch habe sie dargelegt, dass bei einer anderweitigen Reparatur des Wagens ein höherer Minderwert verbleibe als bei einer Reparatur in einer Porsche-Vertragswerkstatt.

 

Rz. 4

Dabei hatte das Berufungsgericht jedoch verkannt, dass Ziel des Schadensersatzes die Totalreparation ist und der Geschädigte nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung, als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei ist. Zwar ist der Geschädigte unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Doch genügt im Allgemeinen, dass er den Schaden auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens berechnet, sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, den konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden. Bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarf im Rahmen von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB darf nicht das Grundanliegen dieser Vorschrift aus den Augen verloren werden, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll. Deshalb ist bei der Prüfung, ob sich der Aufwand zur Schadensbeseitigung in vernünftigen Grenzen hält, eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen, d.h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnisse und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen. Zwar konnte dem Berufungsgericht vom Ansatz her in der Auffassung beigetreten werden, dass der Geschädigte, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, sich auf diese verweisen lassen muss. Jedoch hatte das Berufungsgericht die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür nicht festgestellt. Nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil hatten die Beklagten weder bestritten, dass die vom Sachverständigen angesetzten Stundenverrechnungssätze bei einer Reparatur in einer Porsche-Vertragswerkstatt tatsächlich angefallen wären, noch haben sie gravierende Mängel des Sachverständigengutachtens gerügt.

 

Rz. 5

Unter diesen Umständen musste sich die Klägerin jedoch nicht auf die abstrakte Möglichkeit der technisch ordnungsgemäßen Reparatur in irgendeiner kostengünstigeren Fremdwerkstatt auch unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht verweisen lassen. Grundlage der Berechnung der im konkreten Schadensfall erforderlichen Reparaturkosten kann nicht der abstrakte Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen marken- und freien Fachwerkstätten einer Region sein, wenn der Geschädigte fiktive Reparaturkosten abrechnet. Dagegen spricht zum einen, dass der Schädiger zur vollständigen Behebung des Schadens unabhängig von den wirtschaftlichen Dispositionen des Geschädigten verpflichtet ist, zum anderen würde bei anderer Sicht die dem Geschädigten in § 249 Abs. 2 S. 1 eröffnete Möglichkeit der Schadensbe...

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