Rz. 131

Erst im Jahre 2017 wurde in der Rs. Polbud vom EuGH die Frage entschieden, ob eine tatsächliche wirtschaftliche Aktivität im Zuzugsstaat seitens der formwechselwilligen Gesellschaft bestehen oder angestrebt werden muss oder ob auch eine isolierte Satzungssitzverlegung möglich ist.[371] Zuvor wurde nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit empfohlen, den Verwaltungssitz der Gesellschaft in den Zielstaat zu verlegen.[372] Dies sollte nicht nur aus unternehmerischer Perspektive eine ausreichende Grundlage für die wirtschaftliche Entscheidung bieten, das Unternehmen in eine Rechtsform des Auslandes umzuwandeln, vielmehr sollte dadurch – wie in der Moor-Park-II-Entscheidung des OLG Nürnberg[373] angedeutet – der Formwechsel im Zielstaat erleichtert werden. Falls eine Verlegung des Verwaltungssitzes nicht vor der Verlegung des Satzungssitzes durchführbar war, sollte zumindest im Herkunftsstaat eine Versicherung über die angestrebte wirtschaftliche Tätigkeit im Zuzugsstaat abgegeben werden.[374]

 

Rz. 132

Diese frühere Meinung bezog sich wesentlich auf die Einschränkung in der VALE Entscheidung des EuGH, der dort entschieden hat:

"In Bezug auf das Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist darauf hinzuweisen, dass der Niederlassungsbegriff im Sinne der Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmemitgliedstaat auf unbestimmte Zeit impliziert. Daher setzt er eine tatsächliche Ansiedlung der betreffenden Gesellschaft und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat voraus (Urt. v. 12.9.2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Rn 54 und die dort angeführte Rechtsprechung)." Allerdings verlangt das deutsche Recht schon seit dem Jahre 2008 für die GmbH keinen inländischen Verwaltungssitz mehr, weshalb ein solches Verlangen gegenüber einer aus dem Ausland zuziehenden Gesellschaft schon am unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot scheitern musste.[375]

 

Rz. 133

In der Polbud-Entscheidung stellte der EuGH[376] fest, dass der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit immer dann eröffnet ist, wenn eine Gesellschaft einen grenzüberschreitenden Formwechsel mit dem Ziel anstrebt, mit der künftig ausländischem Recht unterliegenden Gesellschaft eine inländische Niederlassung zu betreiben.[377] Der grenzüberschreitende Formwechsel setzt dabei nicht voraus, dass im Zuzugsstaat der Verwaltungssitz angesiedelt wird. Der Zuzugsstaat kann eine solche Anforderung allerdings festlegen. Denn jeder Mitgliedstaat entscheidet autonom über das Anknüpfungskriterium, das für eine Anwendung des eigenen Gesellschaftsrechts erfüllt sein muss. Im Verlegungsplan eines Hineinformwechsels ist vor diesem Hintergrund keine Klausel über eine (angestrebte) wirtschaftliche Tätigkeit im Zuzugsstaat erforderlich, ebenso wenig wie dies bei der Anmeldung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung versichert werden muss.[378]

[371] Zum Streitstand vor der Polbud-Entscheidung Franz, EuZW 2016, 930, 935; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, 2015, S. 150 ff., jew. m.w.N.; siehe auch noch die Schlussanträge der GA Kokott v. 4.5.2017, ZIP 2017, 1319, in denen schon die bloße Absicht einer geschäftlichen Aktivität am Zielort ausreichen soll (Rn 36), allgemein Nentwig, GWR 2017, 261; zustimmend Stiegler, GmbHR 2017, 650; grds. ebenfalls zustimmend Wicke, NZG 2017, 701, jedoch einen "ernst zu nehmenden genuine link" fordernd; kritisch Ego, DB 2017, 1318.
[372] Sehr str.: dafür Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2054 ff. m.w.N. auch der Gegenmeinung; jedenfalls für die Satzungssitzverlegung in einen Sitztheoriestaat war dies dringend empfohlen worden.
[373] OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, DNotZ 2014, 150 m.Anm. Hushahn.
[374] Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2062; dazu ausführlich Wasmeier, Grenzüberschreitende Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften, 2014, S. 134 ff.; kritisch Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, 2015, S. 151 ff.
[375] Teichmann, DB 2012, 2085, 2088.
[376] Ausführlich zu den einzelnen Vorlagefragen Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314, 1316 f.; Oplustil/Sikora, EWS 2017, 134 ff.
[377] Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314, 1320; vgl. hierzu bereits die von Schön, ZGR 2013, 333, 354 angestellten Überlegungen, wonach der angestrebte Zustand entscheidend sei und nicht der Weg dorthin.
[378] Siehe hierzu die Muster bei Knaier, in: WürzburgerNotHdb, Teil 5 Kap. 6 Rn 404; sowie das Muster bei Stucken/Förster, in: Happ, Umwandlungsrecht, 4.06 e) für den grenzüberschreitenden Formwechsel einer luxemburgischen S.à.r.l. in eine deutsche GmbH.

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