Rz. 34

Bei der "Eignung" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschriften, Richtlinien, Begutachtungsleitlinien zur Fahreignung, Rechtsprechung und Literatur präzisiert wird.[40] Bei der Anwendung und Auslegung des Begriffs wird der Verwaltung kein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Die diesbezügliche Verwaltungsentscheidung ist gerichtlich voll überprüfbar.

 

Rz. 35

Bei der Beurteilung der Eignung eines Kraftfahrers geht es im Wesentlichen darum, dass das Straßenverkehrsrecht als Teil des Gefahrenabwehrrechts[41] all diejenigen Kraftfahrer von der "Straßenverkehrsgemeinschaft" ausschließen muss, die durch ihre Teilnahme am Straßenverkehr eine Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer darstellen.

 

Rz. 36

Vor dem Hintergrund der auf dem Spiel stehenden Grundrechte der anderen Verkehrsteilnehmer (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schützt Leben und körperliche Unversehrtheit) und mit Blick auf die durch die Verkehrseröffnung durch den Staat sich ergebende Garantenstellung und staatliche Schutzpflicht[42] ist die Behörde verpflichtet, bei Kenntniserlangung verkehrsrelevanter Tatsachen im Wege der Sachverhaltsermittlung tätig zu werden und bei Vorliegen entsprechender Fakten präventive Maßnahmen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit einzuleiten. Dabei muss sie – nicht zuletzt vor dem Hintergrund grundrechtlicher Gewährleistungen auch des FE-Inhabers (Art. 2 Abs. 1 GG) – allerdings der Versuchung widerstehen, quasi schon auf der Stufe des bloßen "Verdachts-Verdachts" präventive Maßnahmen einzuleiten.[43]

 

Rz. 37

Insoweit bedeutet die Entziehung der FE eine Sicherungsmaßnahme, die dazu dient, die Allgemeinheit vor Gefährdungen durch ungeeignete Kraftfahrer zu schützen. In jedem einzelnen Fall ist danach letztendlich die allgemein-polizeiliche Frage relevant, ob durch die Teilnahme des betroffenen Kraftfahrers am Straßenverkehr bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden an einem Schutzgut anderer (Leben, Gesundheit, Eigentum, Vermögen) eintreten wird.[44]

 

Rz. 38

Für diese Wahrscheinlichkeit genügen einerseits nicht bloße Vermutungen oder die lediglich entfernt liegende Möglichkeit eines Schadens. Andererseits ist es aber auch nicht erforderlich, dass der Eintritt des Schadens gewiss ist und unmittelbar bevorsteht.

 

Rz. 39

Anknüpfungspunkt sind nur erkennbare Tatsachen, die unter Zugrundelegung einer Wahrscheinlichkeitsprognose zu einem Schadenseintritt führen können. Aufgrund der im Einzelfall vorliegenden Tatsachen und Sachverhalte (nicht aber aufgrund von sachlich nicht fundierten Annahmen), aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung und mit Hilfe wissenschaftlicher oder technischer Erkenntnisse sowie sonstiger konkret vorliegender Einzelheiten muss also ein Geschehensablauf unter Zugrundelegung von anerkannten Erfahrungssätzen "zu Ende gedacht" werden. Steht am Ende dieser Überlegung in überschaubarer Zukunft mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit ein Schadensereignis, so liegt eine Gefahr für das Schutzgut vor. Dabei sind die Anforderungen an die Feststellung der "Eintrittswahrscheinlichkeit" geringer, wenn besonders hochwertige Schutzgüter auf dem Spiel stehen. Anders ausgedrückt: Je größer das Ausmaß des potentiellen Schadens, desto geringer sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts.[45]

 

Rz. 40

Häufig wird sich dabei die Situation des Gefahrenverdachts ergeben, der Gefahrenerforschungsmaßnahmen und Gefahrenerforschungseingriffe rechtfertigt.[46]

 

Rz. 41

Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen von Gefahrenerforschungseingriffen hat das BVerwG[47] beschrieben. Auf diese Entscheidung des BVerwG verweist auch das BVerfG[48] in seiner Cannabisentscheidung.

 

Rz. 42

Danach ist die Gutachtenanforderung nur rechtmäßig, wenn

1. aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des betroffenen Kraftfahrers bestehen und
2. die angeordnete Überprüfung ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären.[49]
 

Rz. 43

Vor diesem Hintergrund ist, gleichgültig ob der Kraftfahrer alkohol-, drogen- oder sonst auffällig geworden ist, jeder einzelne Fall mit Blick auf eben diese Schadenseintrittswahrscheinlichkeit zu untersuchen. Allein an dieser präventiven Kontrolle hat sich das Handeln der FE-Behörde zu messen.

 

Rz. 44

Der Begriff der Kraftfahreignung im Entziehungsverfahren und im Wiedererteilungsverfahren ist derselbe.[50]

 

Rz. 45

Im präventiven Bereich der Gefahrenabwehr, der das FE-Recht zuzuordnen ist, müssen nicht dieselben Maßstäbe gelten wie im repressiven Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts. Es ist daher grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die FE-Behörde unabhängig von strafrechtlicher oder ordnungswidrigkeitsrechtlicher Ahndung mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln überprüft, ob ein Kraftfahrer zum Führen eines Kfz geeignet ist.[51]

 

Rz. 46

Das folgende Schaubild soll das Z...

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