Rz. 44

Hat das Kind längere Zeit in einem Haushalt mit einem Elternteil und dessen Ehegatten – der nicht Elternteil des Kindes ist – zusammengelebt, so stellen sich Probleme, wenn der Elternteil stirbt oder für tot erklärt wird, ihm das Sorgerecht entzogen wird, er tatsächlich verhindert ist oder seine Sorge ruht. In diesen Fällen wächst die tatsächliche Betreuung des Kindes meist unvermittelt dem Ehegatten (also Stiefelternteil) zu. Allerdings wird häufiger der andere Elternteil, der mit dem Kind bislang nicht zusammenlebt, nach den §§ 1678, 1680 oder 1681 BGB in die sorgerechtliche Verantwortung kommen. In diesem Fall muss das Kind vor der mithin plötzlich entstehenden Möglichkeit geschützt werden, dass dieser Elternteil es vom Stiefelternteil wegnimmt. Daher ermöglicht § 1682 S. 1 BGB es dem Familiengericht, auf Antrag des Stiefelternteils oder von Amts wegen den Verbleib des Kindes bei diesem anzuordnen, solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde. Gleiches gilt nach § 1682 S. 2 BGB, wenn das Kind seit längerer Zeit in einem Haushalt mit einem Elternteil und dessen Lebenspartner (also bei Bestehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft) oder einer nach § 1685 Abs. 1 BGB umgangsberechtigten volljährigen Person gelebt hat.

Der Lebensgefährte, der mit dem verstorbenen betreuenden Elternteil in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt hat – einerlei, ob heterosexuell oder gleichgeschlechtlich –, wird von § 1682 BGB nicht erfasst.[190] Auch eine analoge Anwendung scheidet mangels planwidriger Regelungslücke aus, weil der Gesetzgeber jenen Lebensgefährten und andere Bezugspersonen nach § 1685 Abs. 2 BGB ausdrücklich und unmissverständlich vom Anwendungsbereich der Norm ausgenommen hat.[191] Auch eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB kommt – so sehr sie wünschenswert erscheinen mag – nicht in Betracht.[192] Zwar könnte der nichteheliche Lebensgefährte als Familienpflegeperson i.S. dieser Vorschrift angesehen werden. Indessen würde so die dargestellte eindeutige gesetzgeberische Entscheidung in § 1682 BGB, zu seinen Gunsten keine Verbleibensanordnung zuzulassen, konterkarriert und damit umgangen, weil die sonstigen Voraussetzungen beider Vorschriften inhaltsgleich sind. Nach Maßgabe dessen kommt lediglich die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Lebensgefährten als Ergänzungspfleger in Betracht. Dies setzt in den Fällen vormals gemeinsamer elterlicher Sorge der Eltern wegen der automatischen Alleinsorgeanwachsung zugunsten des anderen Elternteils (§§ 1678 Abs. 1 Hs. 1, 1680 Abs. 1 und Abs. 3, 1681 Abs. 1 BGB) eine Kindeswohlgefährdung i.S.v. § 1666 BGB voraus. Erfordert die Übertragung des Sorgerechts auf den anderen Elternteil eine kindeswohlorientierte gerichtliche Prüfung und Entscheidung (so in den Fällen der §§ 1678 Abs. 1 Hs. 2, Abs. 2, 1680 Abs. 2 und Abs. 3, 1681 Abs. 2 BGB), so genügt es für die Aufenthaltsbestimmungspflegschaft, dass die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den anderen Elternteil dem Kindeswohl widerspricht. Freilich kann diese Entscheidung zugunsten des anderen Elternteils abgeändert werden. Insoweit ist nicht § 1696 Abs. 1, sondern § 1696 Abs. 2 BGB anzuwenden, weil es sich bei der hier in Rede stehenden Aufenthaltsbestimmungspflegschaft in Ansehung des Kindeswohlmaßstabs – die Übertragung auf den anderen Elternteil widerspricht dem Kindeswohl – um eine kindesschutz-rechtliche Maßnahme i.S. letzterer Vorschrift handelt. Denn wenn die Alternativlösung dem Kindeswohl widerspräche, ist die andere Maßnahme "zum Wohl des Kindes erforderlich".

[190] Palandt/Götz, § 1682 Rn 2; AnwK-BGB/Kleist/Friederici, § 1682 Rn 2; Müko-BGB/Hennemann, § 1682 Rn 10a; Staudinger/Salgo, § 1682 Rn 1; Bamberger/Roth/Veit, § 1682 Rn 2; jurisPK/Poncelet, § 1682 Rn 3; a.A. Erman/Döll, § 1682 Rn 3; bereits im Ausgangspunkt unrichtig PWW/Ziegler, § 1682 Rn 3 und HK-FamR/Schmid, die unter "Lebenspartner" auch den nichtehelichen Lebensgefährten verstehen, der indes vom Gesetzgeber ausdrücklich außen vor bleiben sollte (siehe dazu nur BT-Drucks 13/4899, S. 66 und 104; Müko-BGB/Hennemann, § 1682 Rn 11); de lege lata kritisch, aber im Ergebnis unklar Heilmann/Keuter, § 1682 BGB Rn 5 m.w.N.; de lege ferenda für eine Einbeziehung des nichtehelichen Lebensgefährten in der Kreis der von § 1682 erfassten Personen Muscheler, FamRZ 2004, 913, 921.
[191] BT-Drucks 13/4899, S. 66 und 104; AnwK-BGB/Kleist/Friederici, § 1682 Rn 2; Bamberger/Roth/Veit, § 1682 Rn 2; im Ergebnis unklar Heilmann/Keuter, § 1682 Rn 5.
[192] So wohl im Ergebnis auch AnwK-BGB/Kleist/Friederici, § 1682 Rn 2 (nur Umgangsregelung möglich); a.A. Müko-BGB/Hennemann, § 1682 Rn 10a; Heilmann/Keuter, § 1682 Rn 5.

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