1. Rückwirkung im ersten Rechtszug
Rz. 18
Nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG erhält der im ersten Rechtszug bestellte oder beigeordnete Anwalt die Vergütung auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung,
▪ | in Strafsachen einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen Klage |
und
▪ | in Bußgeldsachen einschließlich der Tätigkeit vor der Verwaltungsbehörde. |
Beispiel 9: Erstreckung der Bestellung auf vorbereitendes Verfahren (I)
Der Anwalt war zunächst als Wahlanwalt in Ermittlungsverfahren für den Beschuldigten tätig. Nach dem ersten Hauptverhandlungstermin wird er vom AG als Pflichtverteidiger bestellt und nimmt an dem zweiten Hauptverhandlungstermin teil, in dem das Urteil gesprochen wird.
Die Bestellung ist zwar erst nach Anklageerhebung und nach dem ersten Hauptverhandlungstermin erfolgt. Dennoch erhält der Anwalt § 48 Abs. 6 S. 1 RVG auch die Gebühr für den ersten Hauptverhandlungstermin und auch die zuvor im Ermittlungsverfahren entstandene Vergütung.
Der Anwalt kann also folgende Gebühren aus der Landeskasse verlangen.
I. | Vorbereitendes Verfahren | ||
1. | Grundgebühr, Nr. 4100 VV | 176,00 EUR | |
2. | Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV | 145,00 EUR | |
3. | Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 341,00 EUR | ||
4. | 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 64,79 EUR | |
Gesamt | 405,79 EUR | ||
II. | Erstinstanzliches gerichtliches Verfahren | ||
1. | Verfahrensgebühr, Nr. 4106 VV | 145,00 EUR | |
2. | Terminsgebühr, Nr. 4108 VV | 242,00 EUR | |
3. | Terminsgebühr, Nr. 4108 VV | 242,00 EUR | |
4. | Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 649,00 EUR | ||
5. | 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 123,31 EUR | |
Gesamt | 772,31 EUR |
Rz. 19
Voraussetzung ist selbstverständlich, dass der Anwalt auch vor Beiordnung tätig war und die Gebühren verdient hat. § 48 Abs. 6 S. 1 RVG führt nicht zu einer Fiktion von Gebühren, die gar nicht ausgelöst worden sind.[2]
Beispiel 10: Erstreckung der Bestellung auf vorbereitendes Verfahren (II)
Wie vorangegangenes Beispiel 9; jedoch war der Anwalt im Ermittlungsverfahren noch nicht tätig.
Die Rückwirkung erstreckt sich jetzt nur auf die Gebühr für den ersten Hauptverhandlungstermin und die jetzt im gerichtlichen Verfahren angefallene Grundgebühr. Zwar würde sich die Rückwirkung auch auf das Ermittlungsverfahren erstrecken. Dort war der Anwalt aber gar nicht tätig und hat somit dort auch keine Vergütung verdient.
1. | Grundgebühr, Nr. 4100 VV | 176,00 EUR | |
2. | Verfahrensgebühr, Nr. 4106 VV | 145,00 EUR | |
3. | Terminsgebühr, Nr. 4108 VV | 242,00 EUR | |
4. | Terminsgebühr, Nr. 4108 VV | 242,00 EUR | |
5. | Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 825,00 EUR | ||
6. | 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 156,75 EUR | |
Gesamt | 981,75 EUR |
Rz. 20
Im Gegensatz zur Verbindung (§ 48 Abs. 6 S. 3 RVG) ist hier eine Erstreckung durch das Gericht auf vorangegangene Verfahrensstadien nicht möglich.
2. Rückwirkung im späteren Rechtszug
Rz. 21
Wird der Rechtsanwalt erst in einem späteren Rechtszug beigeordnet, erhält er seine Vergütung in diesem Rechtszug auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung. Eine Rückwirkung auf die Vorinstanz oder das Ermittlungsverfahren kommt jetzt nicht automatisch in Betracht. Insoweit muss sich der Anwalt an seinen Mandanten halten, von dem er die Wahlanwaltsgebühren erhält.[3]
Beispiel 11: Erstreckung der Bestellung im Berufungsverfahren
Der Anwalt hatte als Wahlanwalt im Ermittlungsverfahren und in erster Instanz verteidigt. Im Berufungsverfahren findet ein Hauptverhandlungstermin statt, in dem die Hauptverhandlung ausgesetzt wird. Vor dem zweiten Hauptverhandlungstermin wird der Anwalt als Pflichtverteidiger bestellt.
Die Bestellung ist zwar erst nach dem ersten Hauptverhandlungstermin erfolgt, sie erstreckt sich jedoch auf das gesamte Berufungsverfahren (§ 48 Abs. 6 S. 2 RVG). Die Vergütung im Ermittlungsverfahren und im erstinstanzlichen Verfahren erhält der Anwalt dagegen aus der Landeskasse nicht. Insoweit muss er sich an seinen Mandanten halten, von dem er allerdings die Wahlanwaltsgebühren erhält.
I. | Vergütung aus der Landeskasse (Pflichtverteidigergebühren) | ||
Berufungsverfahren | |||
1. | Verfahrensgebühr, Nr. 4124 VV | 282,00 EUR | |
2. | Terminsgebühr, Nr. 4126 VV | 282,00 EUR | |
3. | Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 584,00 EUR | ||
4. | 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 110,96 EUR | |
Gesamt | 694,96 EUR | ||
II. | Vergütung vom Mandanten (Wahlanwaltsvergütung) | ||
a) | Vorbereitendes Verfahren | ||
1. | Grundgebühr, Nr. 4100 VV | 220,00 EUR | |
2. | Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV | 181,50 EUR | |
3. | Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 421,50 EUR | ||
4. | 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 80,09 EUR | |
Gesamt | 501,59 EUR | ||
b) | Erstinstanzliches gerichtliches Verfahren | ||
1. | Verfahrensgebühr, Nr. 4106 VV | 181,50 EUR | |
2. | Terminsgebühr, Nr. 4108 VV | 302,50 EUR | |
3. | Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 504,00 EUR | ||
4. | 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 95,76 EUR | |
Gesamt | 599,76 EUR |
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