Rz. 71

Für die Zwangsvollstreckung steht dem RA gem. Nr. 3309 VV RVG die Verfahrensgebühr in Höhe einer 0,3-Gebühr zu. Die vorbereitenden Verfahren, wie z.B. Erlangung der Vollstreckungsklausel, Zustellung des Titels sowie das Aufforderungsschreiben mit Vollstreckungsandrohung, gehören zur Zwangsvollstreckung und sind mit der Verfahrensgebühr gem. Nr. 3309 VV RVG abgegolten. Liegt dem RA der Auftrag zur Zwangsvollstreckung vor und er fordert den Schuldner vor Einleitung der Zwangsvollstreckung zur Zahlung auf, erhält er für diese Tätigkeit die Verfahrensgebühr gem. Nr. 3309 VV RVG (0,3). Zahlt der Schuldner nach dem Aufforderungsschreiben nicht und die Zwangsvollstreckung folgt, erhält der RA die Gebühr für das Aufforderungsschreiben nicht gesondert, da es zum vorbereitenden Verfahren der Zwangsvollstreckung gehört.

 

Rz. 72

Liegt dem RA jedoch kein Vollstreckungsauftrag vor und versendet er eine Zahlungsaufforderung ohne Vollstreckungsandrohung, stellt sich die Frage, wie diese Tätigkeit zu vergüten ist. Da kein Vollstreckungsauftrag vorliegt, ist kein Raum für die Verfahrensgebühr gem. Nr. 3309 VV RVG. Die Gebühren des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens kommen ebenfalls nicht in Betracht, da das Erkenntnisverfahren bei Vorlage des vollstreckungsfähigen Titels abgeschlossen ist.

Nach – allerdings umstrittener Auffassung – handelt es sich insoweit um einen Vertretungsauftrag i.S.d. Nr. 2300 VV RVG oder bei Beauftragung eines Schreibens einfacher Art i.S.v. Nr. 2301 VV RVG.[24] Die gegenteilige Auffassung verneint ein Anfallen der Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG.[25] Diese Meinung wird damit begründet, dass der Wille des Mandanten bei bereits titulierten Ansprüchen nur noch darauf ausgerichtet sein kann, den Anspruch realisiert zu halten, wobei jegliche darauf gerichtete Tätigkeit des RA daher als zur Zwangsvollstreckung gehörig anzusehen sei. Dass der Wille des Mandanten die Realisierung seines Anspruchs ist, ist plausibel, da ihm durch das Gericht bereits Recht zugesprochen wurde. Allerdings verkennt die für die Nichtanwendung der Nrn. 2300 und 2301 VV RVG plädierende Auffassung, dass es Sachverhalte gibt, bei denen der Auftraggeber erkennt, dass weitere Vollstreckungsmaßnahmen aller Voraussicht nach nicht zum Zahlungserfolg führen und daher zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung andere Wege beschritten werden sollten. In der Gesamtschau aller Kosten kann dies für den erstattungspflichtigen Schuldner sogar deutlich günstiger sein. Nachfolgend ein typisches Beispiel aus der Praxis, das so oder in ähnlicher Form häufig vorkommen dürfte.

 

Rz. 73

 

Beispiel

Der Auftraggeber legt dem RA den vollstreckungsfähigen Titel sowie diverse Vollstreckungsunterlagen vor. Daraus ergibt sich, dass der Schuldner auf Betreiben des Gläubigers die Vermögensauskunft vor 1 ½ Jahren abgegeben hat. Nach dem Protokoll der Vermögensauskunft hat der Schuldner als Spielhallenaufsicht gearbeitet und einen Nettolohn von 850,00 EUR monatlich erhalten. Der Gläubiger hat, um evtl. bei einem höheren Verdienst oder bei Sondergratifikationen Gelder zu erhalten, die Lohnansprüche des Schuldners gepfändet sowie das vom Schuldner innegehaltene Bankkonto mit einer Pfändung belegt. Zu pfändbaren Beträgen war es bei Beauftragung des RA nicht gekommen, wobei der Schuldner noch immer bei demselben Arbeitgeber beschäftigt ist; das Bankkonto wird als Pfändungsschutzkonto geführt. Über weitere Einnahmen bzw. Vermögen soll der Schuldner nach seinen Angaben nicht verfügen.

 

Rz. 74

Für den Auftraggeber besteht keine begründete Erwartung, dass er mit den bereits durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen seinen Anspruch wird durchsetzen können und schon gar nicht ergeben sich Anhaltspunkte, die die Einleitung neuer Vollstreckungsmaßnahmen erfolgversprechend machen. Dementsprechend will der Auftraggeber den Vollstreckungspfad verlassen und einen anderen Weg einschlagen, nämlich mithilfe des beauftragten RA eine gütliche, außergerichtliche Einigung zu erreichen, die der beschränkten Leistungsfähigkeit des Schuldners Rechnung trägt und die neben einem ratenweisen Forderungsausgleich auch das Erlangen von Sicherheiten (z.B. Abtretung von künftigen Lohnansprüchen oder Bankguthaben) oder Informationsrechten zum Ziel hat. Dies lässt sich im Rahmen der Zwangsvollstreckung nicht erreichen. Insbesondere lässt § 802b ZPO keine qualifizierten Ratenzahlungsvereinbarungen zu.

Aus den vorstehenden Gründen ist es sachdienlich, wenn sich der RA im Rahmen seines Vertretungsauftrages mit dem Schuldner in Verbindung setzt und ihm Möglichkeiten aufzeigt, wie er trotz angespannter finanzieller Situation den Gläubiger befriedigen kann. Diese Tätigkeiten lösen nach hiesiger Auffassung die Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG aus.

 

Rz. 75

Sollte der Auftraggeber das zuvor beschriebene Ziel verfolgen, aber den RA lediglich bitten, ein Schreiben einfacher Art abzufassen, um zu versuchen, die Sprachlosigkeit zwischen Gläubiger und Schuldner zu überwinden, damit der Gläubiger die weitere Tilgung...

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