Rz. 122

Zitat

"Art. 1 Abs. 1 [… der EuErbVO …] ist dahin auszulegen, dass eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, wonach beim Tod eines Ehegatten ein pauschaler Zugewinnausgleich durch Erhöhung des Erbteils des überlebenden Ehegatten vorzunehmen ist, in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt."[78]

Der EuGH hat abweichend von der bisher für Deutschland h.M. entschieden. Hatte der BGH[79] im Jahr 2015 für das deutsche internationale Privatrecht entschieden, dass § 1371 Abs. 1 BGB in internationalen Erbfällen güterrechtlich zu qualifizieren sei, so muss nun bei Anwendung der EuErbVO nach dem EuGH die Norm erbrechtlich qualifiziert werden.[80]

Die Sache war vom KG vorgelegt worden im Zusammenhang mit der Frage, ob im ENZ das Erhöhungsviertel aus § 1371 Abs. 1 BGB auszuweisen ist oder nicht, weil der BGH dieses Viertel nicht als erbrechtlich, sondern als güterrechtlich qualifiziert hatte. Nach EuGH ist das Viertel in das ENZ aufzunehmen.

Die Reichweite der Entscheidung für § 1371 Abs. 1 BGB ist jenseits des ENZ begrenzt. Einzig relevant ist der Fall, dass deutsches Güterrecht neben ausländischem Erbrecht zur Anwendung kommt und der überlebende Ehegatte Erbe aufgrund gesetzlicher Erbfolge ist, da nur in diesem Fall der Erbteil des Ehegatten gem. § 1371 Abs. 1 BGB erhöht wird. Liegt ein solcher Fall vor, nimmt die Entscheidung des EuGH dem überlebenden Ehegatten seine güterrechtliche Position, nämlich ein Viertel der Erbschaft des Verstorbenen. Nach dem Wortlaut des § 1371 BGB und gewiss auch nach ausländischem Erbrecht gibt es hierfür keine Kompensation. Das überrascht in der EuGH-Entscheidung gerade deshalb, weil genau dieser Punkt für die güterrechtliche Qualifikation durch den BGH entscheidend war.[81]

 

Rz. 123

Tatsächlich ist diese Schlechterstellung der Preis dafür, dass das für die Entscheidung zuständige, i.d.R. ausländische Gericht die Erbfolge unter Anwendung nur eines einheitlichen Erbrechts, i.d.R. sogar seiner lex fori, verbindlich feststellen und im ENZ ausweisen kann. Diese Einfachheit bietet Gewähr für eine möglichst einheitliche und richtige Rechtsanwendung. Beim BGH ging es hingegen noch um die Rechtsanwendung durch deutsche Gerichte, wenn diese nach ihrem IPR deutsches Güter- und ausländisches Erbrecht gemeinsam zu einem passenden Ergebnis bringen mussten, und zwar ohne Rücksicht auf einen europäischen Entscheidungseinklang, für den es noch keine Normen gab. Für den europäischen Entscheidungseinklang ist die Regelung des § 1371 Abs. 1 BGB, wenn sie jenseits des Erbrechts unmittelbar die Erbquoten verändert, so misslich, dass es gerechtfertigt war, für dieses Ziel die güterrechtliche Rechtsposition des überlebenden Ehegatten zu opfern. Es hätte dem EuGH allerdings gut angestanden, dies auch auszusprechen.

 

Rz. 124

Für den überlebenden Ehegatten ist dieses Ergebnis allerdings bitter. Das Versprechen, bei Ende des gesetzlichen Güterstands einen güterrechtlichen Ausgleich zu erhalten, wird im Todesfall bei Anwendung ausländischen Erbrechts nicht mehr eingelöst. Sein Schutz vor dem Verlust des Zugewinnausgleichs durch das Erfordernis seiner Mitwirkung an einem notariell zu beurkundenden Ehevertrag wird im Fall des § 1371 Abs. 1 BGB stark entwertet, denn plötzlich kann ihm die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts durch seinen Partner oder dessen (nicht öffentliche) Rechtswahl, falls er eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, den sicher geglaubten pauschalen Zugewinnausgleich im Todesfall nehmen. Was bleibt ihm in diesem Fall? Abgesehen von dem eher unwahrscheinlichen Fall, dass das ausländische Erbrecht seine güterrechtliche Situation berücksichtigt, kann nur deutsches Güterrecht für eine Kompensation sorgen, denn deutsches Erbrecht findet gem. Art. 23 EuErbVO umfassend keine Anwendung.

Diejenigen, die schon bisher eine erbrechtliche bzw. eine Doppelqualifikation befürworten, erwägen als Kompensationsmöglichkeit die erweiterte Anwendung des § 1371 Abs. 2 Hs. 1 BGB auf alle Fälle, in denen der Ehegatte nicht gesetzlicher Erbe nach dem deutschen BGB wird, d.h. in allen Fällen der Anwendbarkeit ausländischen Erbrechts, oder enger dann, wenn er (nur) gesetzlicher Erbe nach ausländischem Erbrecht wird. Damit würden aber alle Intentionen des Gesetzes, die zu § 1371 Abs. 1 BGB geführt haben, nämlich der Wunsch der Vereinfachung des Ausgleichs im Todesfall, zunichte gemacht.[82] Die tatsächliche Berechnung sollte gemäß der Wertung des § 1371 Abs. 2 und Abs. 3 BGB nur erfolgen, wenn der Ehegatte nichts bzw. nur den Pflichtteil erhält.

 

Fazit

Mit der Entscheidung des EuGH ist eine Lücke im deutschen Recht des Zugewinnausgleichs beim Tod eines Ehegatten entstanden. Die Gesetzgebung ist deshalb aus Gründen der Rechtssicherheit aufgefordert, dafür zu sorgen, dass der güterrechtliche Anspruch des Ehegatten nicht kompensationslos verloren gehen kann.

Ob die Erbteilserhöhung des § 1371 Abs. 1 BGB mit vertraglicher Gestaltung bewahrt werden kann, ist noch nicht geklärt. Zumin...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge