Rz. 981

Ein Mangelfall nach §§ 1581, 1603 BGB entsteht, wenn der Verpflichtete unter Berücksichtigung seiner Verpflichtungen nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen außerstande ist, dem Berechtigten ganz oder teilweise Unterhalt zu leisten, ohne dass sein eigener Unterhalt gefährdet ist.

Hierzu ein einfaches Beispiel:

 

Rz. 982

 

Praxistipp

Ehebezogenes Erwerbseinkommen M 1.400 EUR; F ist erwerbsunfähig und ohne Einkommen.

Unterhaltsberechnung: Mangelfall

Der Bedarf der F beträgt bei Berücksichtigung eines Erwerbstätigenbonus für M von 10 % 630 EUR (45 % aus 1.400 EUR).

 

Rz. 983

Bei Zahlung der Beträge ist der Ehegattenmindestselbstbehalt von derzeit 1.280 EUR[1125] unterschritten. Es steht nur eine Verteilungsmasse von 120 EUR zur Verfügung (1.400 EUR – 1.280 EUR). Der Unterhaltsanspruch der F ist daher zu kürzen, damit M der Ehegattenmindestselbstbehalt verbleibt. Der Anspruch beträgt unabhängig von der Höhe des zu berücksichtigenden Erwerbstätigenbonus 120 EUR.

 

Rz. 984

 

Rechenbeispiel

Abwandlung: M wohnt kostenlos bei seinen Eltern

Grundsätzlich stellt das mietfreie Wohnen bei den Eltern kein Einkommen dar, da es sich um eine freiwillige Zuwendung Dritter handelt, die nicht erbracht wird, um den Berechtigten unterhaltsrechtlich zu unterstützen, sondern den Pflichtigen zu entlasten. Im Mangelfall können solche Leistungen jedoch als Einkommen angesetzt werden. Im Ehegattenmindestselbstbehalt ist ein Betrag von 490 EUR für Unterkunft einschließlich umlagefähiger Nebenkosten und Heizung (Warmmiete) enthalten.[1126] Der Selbstbehalt reduziert sich daher auf 790 EUR (1.280 EUR – 490 EUR). Er wird durch das mietfreie Wohnen leistungsfähig (1.400 EUR – 630 EUR).

 

Rz. 985

Ist nach Berechnung des Einkommens des Pflichtigen und Abzug aller Unterhaltspflichten der verbleibende Einkommensbetrag nach Maßgabe des zutreffenden Selbstbehalts niedriger, liegt ein Mangelfall vor. Ist der verbleibende Betrag höher als der konkret zutreffende Selbstbehalt, liegt kein Mangelfall vor.

 

Rz. 986

Reicht der dem Unterhaltsverpflichteten verbleibende Restbetrag nicht an den Selbstbehalt heran, ist eine Verteilung des zur Verfügung stehenden Gesamtbetrages auf den/die Unterhaltsberechtigten entsprechend den Rangverhältnissen vorzunehmen.[1127]

 

Rz. 987

Zum Einkommen gehört auch das Vermögen und dessen Verwertung bis zum vollständigen Verbrauch. Der Einsatz des Vermögens ist jedoch dann nicht notwendig, wenn dessen Verbrauch sich als unwirtschaftlich darstellt oder nach Maßgabe der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre. Insbesondere betrifft dies kleinere Vermögen, die für Notfälle oder für die Sicherung der Altersvorsorge verwendet werden sollen.[1128]

 

Rz. 988

Dies gilt zumal dann, wenn der Verwendungszweck während bestehender Ehe einvernehmlich bestimmt worden war. Grundsätzlich dient in solchen Fällen das Vermögen, ebenso wie sonstige Einkünfte, der lebenslangen Unterhaltsabsicherung.

 

Rz. 989

Anderes gilt für den Fall einer Abfindung, beispielsweise wegen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben. Der Abfindungsbetrag ist dann auf eine längere Zeit zu verteilen.[1129] Ein verhältnismäßig geringer Einmalbetrag kann aber in vollem Umfang dem Jahr des Anfalls zugeschlagen werden.[1130]

 

Rz. 990

Ist der Verbrauch des Vermögens, etwa in festen Raten, zumutbar, ist dieser (Raten-)Betrag als Teil des Einkommens in die Unterhaltsberechnung einzusetzen.

 

Rz. 991

Entsprechend sind – berücksichtigungsfähige – Schulden zu behandeln. Angemessene Raten sind zu berücksichtigen.

 

Rz. 992

Für die Frage, ob im Ergebnis ein Mangelfall vorliegt, sind der Sollbereich und der Haben-Bereich[1131] einander gegenüber zu stellen.

Der Sollbereich umfasst alle Bedarfspositionen sowohl des Verpflichteten als auch des oder der Berechtigten unter weiterer Berücksichtigung auch sonstiger Verpflichtungen.

Der Haben-Bereich umfasst alle zur Bedarfsdeckung tatsächlich vorhandenen Mittel und bestimmt damit die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Verpflichteten.

Ist bei Gegenüberstellung der Sollbereich größer als der Haben-Bereich, liegt ein Fehlbedarf und damit ein Mangelfall vor.

Ist umgekehrt der Haben-Bereich größer als der Sollbereich, ist die volle Leistungsfähigkeit des Verpflichteten gegeben.

[1125] Stand 1.1.2022.
[1126] Vgl. Düsseldorfer Tabelle, Ziff. B. IV.
[1127] BGH FamRZ 2012, 281; OLG Hamm FamRZ 2013, 1988.
[1128] BGH FamRZ 2006, 1577.
[1129] BGH FamRZ 2007, 983, 987.
[1130] BGH FamRZ 1988, 1039.
[1131] Begriffe von Wendl/Dose/Gutdeutsch, § 5 Rn 33.

1. Der Sollbereich

 

Rz. 993

Der Sollbereich beschreibt den Bedarfsbereich sowohl des Verpflichteten als auch des Berechtigten, ggf. zuzüglich sonstiger Verpflichtungen.

Der Bedarf ist nicht allen Berechtigten gegenüber identisch. Er ist abhängig vom jeweiligen Eigenbedarf oder dem Selbstbehalt, der gegenüber dem betreffenden Berechtigten gilt.

 

Rz. 994

Im Verhältnis zwischen Ehegatten ist der beiderseitige Bedarf als eheangemessener Bedarf in Form des daraus zu errechnenden Quotenunterhalts zu berechnen. Der Mindestselbstbehalt gegenüber Eheg...

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