Rz. 694

Weitere Voraussetzung für das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs wegen Krankheit ist das Vorliegen einer Einsatzzeit nach § 1572 Nr. 14 BGB, also

Scheidung,
Beendigung der Kindesbetreuung, der Ausbildung, Fortbildung und Umschulung,
Beendigung einer Ausbildung/Fortbildung/Umschulung oder
Wegfall der Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruchs nach § 1573 BGB.[797]

Der Unterhaltsanspruch muss im Übrigen nicht geltend gemacht worden sein.[798] Es genügt, wenn der Anspruch dem Grunde nach gegeben war.[799]

Der Anspruch aus § 1572 BGB ist gegenüber demjenigen wegen Erwerbslosigkeit gem. § 1573 BGB nachrangig.[800]

 

Rz. 695

Die Einsatzzeit Scheidung ist noch gegeben, wenn eine bei Scheidung zumindest latent, also in ihren Ursachen vorhandene Erkrankung erst kurze Zeit später zur Erwerbsunfähigkeit führt.[801]

Es muss jedoch ein enger zeitlicher[802] und sachlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten oder der Verschlimmerung der Erkrankung vorliegen.[803]

Nicht ausreichend ist, wenn zwar zum Zeitpunkt der Scheidung eine in der Entwicklung befindliche Krankheit vorhanden war, jedoch nur durch Hinzutreten weiterer, nach Scheidung ausgelöster Ursachen die Erkrankung ausgebrochen ist und zur Erwerbsunfähigkeit geführt hat.[804]

 

Rz. 696

 

Hinweis

Zu prüfen sind immer alle Einsatzzeitpunkte, also auch § 1572 Nr. 4 BGB (Wegfall eines Anspruchs nach § 1573 BGB). Voraussetzung dafür ist lediglich, dass zum Zeitpunkt des Ausbruchs der Erkrankung ein Aufstockungsunterhalt in Betracht kam. Er muss tatsächlich nicht geltend gemacht worden sein.[805]

 

Rz. 697

Zum Einsatzzeitpunkt "Beendigung der Kindesbetreuung" folgende Beispiele.[806]

 

Rz. 698

 

Beispiele

1.

Der Mann M erzielt ein bereinigtes monatliches Nettoeinkommen nach Abzug der Unterhaltspflicht für das gemeinsame 2-jährige Kind K von 2.400 EUR. Ehefrau F ist ist nicht erwerbstätig und betreut das Kind. Der Unterhaltsanspruch beträgt gerundet 1.080 EUR (45 % x 2.400 EUR). Als F aus Gründen möglicher Fremdbetreuung des Kindes[807] zur halbschichtigen Erwerbstätigkeit verpflichtet wäre, ist sie erwerbsunfähig.

Da sie aus gesundheitlichen Gründen dazu nicht in der Lage ist, erhält sie den bisherigen, auf § 1570 BGB gestützten Unterhalt weiter nach § 1572 Nr. 2 BGB.

2.a)

M erzielt ein bereinigtes monatliches Nettoeinkommen von 2.400 EUR. F betreut zum Zeitpunkt der Scheidung den 6-jährigen K und geht einer Halbtagsbeschäftigung nach, bei der sie netto bereinigt 700 EUR monatlich verdient. Der Unterhalt zum Zeitpunkt der Scheidung beläuft sich auf gerundet 578 EUR (45 % x (2.400 EUR./. 414,50 EUR KU / Eink.gr.4 / Altersstufe 2./. 700 EUR)). Als sie später zu einer vollschichtigen Tätigkeit verpflichtet ist, kann sie aus gesundheitlichen Gründen lediglich weiterhin ihre Halbtagstätigkeit auszuüben.

Es bleibt bei dem Unterhalt von 578 EUR, der sich nun nicht mehr auf § 1570 BGB, sondern auf § 1572 BGB stützt. Der Einsatzzeitpunkt der Nr. 2 der Vorschrift ist gegeben.

2.b)

F ist bei Einsetzen der Verpflichtung zur Aufnahme vollschichtiger Erwerbstätigkeit[808] zur Aufnahme einer solchen Erwerbstätigkeit krankheitsbedingt nicht in der Lage. Da sie vollständig erwerbsunfähig ist, kann sie auch ihre bisherige Teilzeittätigkeit von 700 EUR nicht mehr ausüben.

Es bleibt beim Unterhalt von 588 EUR gemäß § 1572 BGB.

Der Einsatzzeitpunkt gemäß Nr. 2 ist nur insoweit gegeben, als sie zur Ausweitung ihrer halbschichtigen Tätigkeit auf eine vollschichtige Tätigkeit nicht in der Lage ist. Nur insoweit wirkt sich die Beendigung der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes aus. Soweit sie schon zur Halbtagstätigkeit verpflichtet war und diese auch tatsächlich ausgeübt hat, liegt kein Einsatzzeitpunkt vor. Daran scheitert der Unterhalt nach § 1572 BGB auch bezüglich der weggefallenen Erwerbseinkünfte. Die Erwerbsobliegenheit zur halbschichtigen Tätigkeit bestand schon seit Vollendung des dritten Lebensjahres.[809]

 

Rz. 699

Probleme bereiten in der Praxis die Fälle, bei denen eine Krankheit bereits latent vorhanden war und diese erst nach einem der genannten Zeitpunkte ausbricht (z.B. Verschleiß der Wirbelsäule etc.).[810]

Entscheidend ist in derartigen Fällen der sachliche und zeitliche Zusammenhang zwischen der Krankheit und einem bestimmten Einsatzzeitpunkt. Ausreichend soll es z.B. sein, wenn eine im Einsatzzeitpunkt vorhandene Krankheit zwar noch nicht zu einer völligen Erwerbsunfähigkeit geführt hatte, sich aber in einem nahen zeitlichen Zusammenhang zum Einsatzzeitpunkt vorhersehbar so verschlechtert, dass der erkrankte Ehegatte keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen kann.[811]

 

Rz. 700

Die Beurteilung hat vom Standpunkt eines objektiven, mit den notwendigen Informationen ausgestatteten Betrachters aus zu erfolgen; es sind somit alle Umstände in die Beurteilung einzubeziehen, die schon zum Einsatzzeitpunkt angelegt waren, aber erst später zutage getreten sind.[812]

 

Rz. 701

Nicht ausreichend ist es dagegen, wenn zwar schon im Zeitpunkt der Scheidung noch in der Entwicklung be...

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