Rz. 43

Neben dem eigennützigen Vertreterhandeln, das meistens unter anwaltlicher Hilfe auf den Prüfstand gestellt wird, kann auch die Untätigkeit eines Bevollmächtigten zum Schaden des Vertretenen sein.

Gerade im Bereich der Vermögensverwaltung wird man oft die Frage stellen, ob die Passivität des Bevollmächtigten, die zum Vermögensverlust führte, eine Haftung wegen Vertragsverletzung nach § 280 BGB nach sich ziehen kann.

 

Rz. 44

 

Beispiel

S wird von seinem Vater, einem wohlhabenden Versicherungskaufmann, mit einer Vorsorgevollmacht versehen. Der Vater erleidet einen Schlaganfall und lebt fortan im Pflegeheim. S kümmert sich zwar aufopfernd um den Vater, lässt aber ansonsten alles schleifen.

Das Wertpapierdepot des Vaters, der in spekulative Aktien investiert hat, verliert drastisch an Wert. Trotz wiederholter Verkaufsempfehlung des Vermögensberaters der Bank unterlässt S es, die Aktien zu verkaufen, was zum Totalverlust führt.

Die Heimkosten und den Unterhalt des Vaters zahlt S aus dem Vermögen des Vaters. Er unterlässt es aber, eine Erwerbsunfähigkeitsrente und Leistungen nach der Pflegeversicherung zu beantragen, obwohl die Heimleitung ihn darauf hingewiesen hat.

Der Nachfolger in der Versicherungsagentur des Vaters übergibt S Unterlagen und weist darauf hin, dass sein Vater mit einer Versicherung schon seit längerem über die Zahlung einer Provision streite. Sein Vater habe wenige Tage vor dem Schlaganfall vorgehabt, einen Rechtsanwalt mit der gerichtlichen Geltendmachung zu beauftragen, weil sonst Verjährung drohe.

Am Haus des Vaters ist nach einem Sturm ein Dachschaden entstanden, den er nicht reparieren lässt, weil er meint, dies habe Zeit bis zum Frühjahr. Durch starke Regenfälle entstehen im Haus Feuchtigkeitsschäden, deren Beseitigung mehrere tausend EUR kosten wird.

Außerdem hat ein Mieter des Vaters die Wohnung vor fünf Monaten in einem unmöglichen Zustand verlassen, so dass Ansprüche gegen ihn geltend zu machen wären. S meint, das habe jetzt alles keine Priorität, was zur Verjährung von Ansprüchen gem. § 548 Abs. 1 BGB führt.

Nach dem Tod des Vaters wollen seine miterbenden Geschwister S zur Verantwortung für die "Schlampereien" ziehen.

 

Rz. 45

Es ist völlig klar, dass mit der Übernahme einer Vorsorgevollmacht der Bevollmächtigte eine besondere Verantwortung übernimmt. Im Beispielsfall ist S dieser Verantwortung wohl nicht nachgekommen.[29] In der Praxis sind Pflichtverstöße durch Unterlassen nicht immer so leicht erkennbar, weil die Erben des Vollmachtgebers keinerlei Informationen besitzen. Außerdem ist immer zu prüfen, welches "Pflichtenprogramm" das jeweilige Innenverhältnis zwischen Bevollmächtigtem und Vollmachtgeber beinhaltete.[30] Von einem im Leben stehenden Sohn als Bevollmächtigtem ist sicher mehr Kompetenz in der Vermögensverwaltung zu verlangen als von einer 80-jährigen Lebensgefährtin, die wirtschaftlich unerfahren ist. Von einem durchschnittlichen Bevollmächtigten kann z.B. verlangt werden, dass er das Girokonto bei anderweitigen Sparguthaben nicht im Soll führt, sonst haftet er den Erben für die Überziehungszinsen.

 

Rz. 46

Das LG Bad Kreuznach hatte in einem solchen Fall klare Sorgfaltsmaßstäbe definiert, wobei pikanterweise die Selbstbedienung des Bevollmächtigten zum Soll führte:

Zitat

"Grundsätzlich hatte der Beklagte das Vermögen der Erblasserin ordnungsgemäß zu verwalten. Hierzu gehörte, dass das Konto der Erblasserin nicht im Soll geführt wurde. Dabei mag es im Einzelfall unvermeidbar sein, dass ein Konto ins Soll rutscht. Im vorliegenden Fall wurden allerdings in einem solch hohen Maße Verbindlichkeiten des Beklagten gezahlt, dass gerade dadurch erst das Konto ins Soll geriet. Es wäre entsprechend der Weisung der Erblasserin erforderlich gewesen, dass Verbindlichkeiten Dritter, also auch des Beklagten, nur dann gezahlt würden, wenn das Guthaben auf dem Girokonto diese Ausgaben auch deckte. Dies war weitgehend nicht der Fall. Die Erbengemeinschaft hat daher einen Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung des Auftragsverhältnisses."[31]

 

Rz. 47

Es kann indes im Einzelfall sehr schwierig sein, von den äußeren Umständen auf den Umfang der Beauftragung zu schließen.

Die Einräumung einer Vollmacht über alle Bankkonten ist z.B. nicht mehr als ein Indiz dafür, im Notfall die Vermögensverwaltung zu übernehmen, beweisen lässt sich dies in aller Regel nur, wenn weitere Anhaltspunkte dafür bestehen. Diese Tatsachenfrage wird man im Rahmen einer streitigen Auseinandersetzung genauso viel Raum geben müssen wie dem Nachweis der Ursächlichkeit des Unterlassens für den eingetretenen Schaden.

 

Rz. 48

 

Hinweis

Wer einen Bevollmächtigten vertritt, dem eine Pflichtenverletzung durch Unterlassen vorgeworfen wird, kann in zwei Richtungen argumentieren: Zum einen kann vorgetragen werden, dass die angeblich verletzte Pflicht nicht zum Auftrag gehörte. Zum anderen kann eingewendet werden, dass mit dem Vollmachtgeber ein Haftungsausschluss konkludent vereinbart wurde. Für beide Tatsachen ist der Bevollmä...

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