Rz. 12

Der überaus häufigste Fall ist der unerkannte Missbrauch der Vollmacht, für den der Bevollmächtigte alleine zur Verantwortung gezogen wird. In rechtlicher Hinsicht hat der Bevollmächtigte alles das, was er in auftragsgemäßer Ausübung der Vollmacht erlangt hat, gem. § 667 BGB herauszugeben. Ist sein Handeln nicht mehr vom Auftrag erfasst, handelt er rechtsgrundlos und ist zur Herausgabe nach den §§ 812 ff. BGB verpflichtet.

 

Rz. 13

Zur Einordnung in diese rechtlichen Kategorien ist es für den Rechtsanwalt wichtig, zur Ermittlung des Auftragsinhalts die Umstände der Vollmachtserteilung und die persönlichen Beziehungen und Eigenschaften der Beteiligten zu erfragen. Das Verhältnis zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem wird im Rahmen einer streitigen Auseinandersetzung fast immer thematisiert, weil das Innenverhältnis als Geschäftsgrundlage für das rechtliche "Dürfen" so gut wie nie schriftlich fixiert ist.

 

Rz. 14

 

Hinweis

Im Mandantengespräch erfährt der Rechtsanwalt meist eine sehr subjektiv gefärbte Darstellung des Innenverhältnisses. Es sollte daher stets gefragt werden, ob und welche unbeteiligten Personen die Angaben bestätigen können. Nachbarn, Freunde und Pflegepersonal können wichtige Informationsquellen sein, die man – das Einverständnis der Mandanten vorausgesetzt – telefonisch vorab befragen kann, um sich ein eigenes Bild von den Verhältnissen zu machen.[9] Dies erleichtert die Einschätzung des Prozessrisikos erheblich.

 

Rz. 15

Auf Seiten des Vollmachtgebers ist daher zu fragen, aus welchen Motiven und unter welchen Umständen er die Vollmacht erteilt hat. Die öffentliche Werbung für Vorsorgevollmachten, die nicht zuletzt fiskalische Gründe hat,[10] legt den Schluss nahe, der typische Vollmachtgeber entscheide sich selbstbewusst und unabhängig von äußeren Einflüssen für eine Vollmacht, weil er einerseits staatliche Einmischung in seine Privatangelegenheiten ablehnt und andererseits seinem Bevollmächtigten voll vertraut und diesen sorgfältig ausgesucht und instruiert hat.

In der Realität ist dieses Idealbild oft blanker Hohn, weil es eine Reihe bedenklicher Vorsorgesituationen gibt, denen – kriminalistisch gesprochen – ein wiederkehrendes Tatmuster vorausgeht. Kurze[11] hat in diesem Zusammenhang drei typische Schritte zur Isolation des Bevollmächtigten beschrieben.

Gutmachen: In einem ersten Schritt tritt der Bevollmächtigte als Gutmensch auf, der sich das Vertrauen des Vollmachtgebers durch Präsenz, Hilfe und Beipflichten zu dessen Meinungen erwirbt.
Schlechtmachen: Sodann werden potenzielle Störfaktoren, insbesondere nahe Verwandte wie Geschwister oder Kinder, neutralisiert, indem man Zweifel nährt und Konflikte schürt. Beliebt sind hier Behauptungen, es würden Gelder veruntreut oder es gebe den Plan, den Vollmachtgeber ins Heim abzuschieben.
Wegmachen: Schließlich wird der Vollmachtgeber isoliert. Wer die Hoheit über das Telefon hat, kann Geschwistern sagen, dass die Mutter nichts mehr von ihnen wissen will und umgekehrt behaupten, die Geschwister würden sich nicht mehr melden. Um Spuren zu verwischen, werden Banken, Ärzte und schließlich der Wohnort gewechselt.[12]

Wer diese Schritte geschafft hat, wird nur in den seltensten Fällen investigativen Nachforschungen eines Kontrollbetreuers ausgesetzt sein, sondern kann in aller Ruhe die sukzessive Enteignung des hilflosen Menschen betreiben. Sander, der die diesbezüglichen Unzulänglichkeiten der Reform des Betreuungsrechts zum 1.1.2023 kritisiert, merkt hierzu an: "Wer über ein wenig emotionale Geschicklichkeit und zugleich über die nötige kriminelle Energie verfügt, findet weiterhin ein reiches Betätigungsfeld für den lukrativen Missbrauch von Vorsorgevollmachten."[13]

 

Tipp zur Vorsorge

Da das Recht ohne Gerechte nichts wert ist, gilt der alte Grundsatz: Trau, schau wem. Gerade als Berater von Angehörigen der Vollmachtgeber sollten Sie den Wert von regelmäßigem Kontakt betonen, gerade wenn die gefährdete Person weit entfernt wohnt.

Bei Bedeutsamen Vermögen kann es sinnvoll sein, eine Vermögensbetreuung durch einen Vorsorgeanwalt anzuregen, damit potentielle Missbrauchstäter abgeschreckt werden.

 

Rz. 16

Abgesehen von diesen krassen Fällen, kommen in der Lebenswirklichkeit viele Grauzonen vor:

Relativ einfach einzuordnen sind die seltenen Fälle, in denen der Vollmachtgeber ohne aktuellen Anlass einer Person unter Einbeziehung seiner Familie die Vorsorgevollmacht erteilt und in Anwesenheit aller den Zweck erklärt. Meist wird es darum gehen, dass der Bevollmächtigte im Notfall den Alltag organisieren soll, nicht mehr und nicht weniger. Wer bei dieser klaren Ansage die Vollmacht für eigene Zwecke missbraucht, wird in Beweisnöte kommen.
Schwieriger sind die häufigen Fälle, in denen der Vollmachtgeber auf fremde Hilfe angewiesen ist und die Erteilung einer Vollmacht auf Druck einer nahestehenden Person erfolgt. Dabei spielt oft weniger das Vertrauen als vielmehr die Angst vor Isolierung eine Rolle. Ein "Klassiker" ist die Erteilung der Vorsorgevol...

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