Rz. 50

Auch wenn die Erben somit grds. einen Anspruch gegen den jeweiligen Anbieter auf Zugangsverschaffung und Abrufbarkeit der Dateien und der durch sie verkörperten Inhalte aus dem auf sie übergegangenen Vertragsverhältnis haben, so stellt sich die Frage, ob dieser Anspruch auch durchsetzbar ist. Das KG hat das für die Rechtsnachfolge in ein Benutzerkonto bei Facebook verneint. Der Anspruch sei aufgrund rechtlicher Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB nicht durchsetzbar, weil eine Zugangsgewährung das Fernmeldegeheimnis verletzten würde.[107] Insoweit geht es in den hier angesprochenen Konstellationen zunächst um das Fernmeldegeheimnis des Erblassers. Im Falle der Nutzung elektronischer Kommunikationsdienste und Social Media sowie anderen Plattformen geht es zudem um das Fernmeldegeheimnis der Kommunikationspartner (vgl. Rdn 2).

[107] So KG, Urt. v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, ZErb 2017, 225 = ErbR 2017, 496 = ZEV 2017, 386. Bock, AcP 217 (2017), S. 370, 405 stellt auf § 134 BGB ab.

I. Das Fernmeldegeheimnis

 

Rz. 51

Ausdrücklich geschützt ist das Fernmeldegeheimnis gegenüber der Staatsgewalt durch Art. 10 Abs. 1 GG. Seine einfachgesetzliche Ausprägung hat das Fernmeldegeheimnis in § 88 TKG gefunden, dessen Abs. 3 S. 1 es Dienstanbietern

Zitat

"untersagt, sich oder anderen über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste einschließlich des Schutzes ihrer technischen Systeme erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen."

Dienstanbieter, so die S. 2 und 3 des § 88 Abs. 3 TKG,

Zitat

"dürfen Kenntnisse über Tatsachen, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, nur für den in Satz 1 genannten Zweck verwenden. Eine Verwendung dieser Kenntnisse für andere Zwecke, insbesondere die Weitergabe an andere, ist nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge bezieht."

 

Rz. 52

Die Regelung des § 88 Abs. 3 TKG steht spätestens seit der Stellungnahme des DAV zum digitalen Nachlass[108] im Zentrum der Diskussion um dieses Thema. Der DAV kommt insbesondere aufgrund der Ausführungen von Mayen[109] zu dem Ergebnis, es fehle an einer Vorschrift, die es Dienstanbietern gestattet, den Erben Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation des Erblassers mit seinen Kommunikationspartnern zu verschaffen. Deshalb, so der DAV, bedürfe es – zumindest mit Blick auf das kleine Zitiergebot des § 88 Abs. 3 S. 3 TKG – im Bereich des Fernmeldegeheimnisses der Einführung einer ergänzenden Regelung durch den Gesetzgeber, die der seit langem bewährten Regelung im Bereich des Briefgeheimnisses entspreche, damit Erben auf in E-Mail-Konten oder in Benutzerkonten bei sozialen Netzwerken gespeicherte Kommunikationsinhalte des Erblassers zugreifen dürfen.[110] Neben dem DAV kommen auch weitere Fachautoren mit Blick auf § 88 TKG zu einem ähnlichen Ergebnis.[111] Und auch das KG[112] hat den Anspruch der im von ihm entschiedenen Fall klagenden Eltern auf Zugangsgewährung zum Facebook-Account ihrer verstorbenen minderjährigen Tochter, die sie beerbt hatten, zumindest an § 88 TKG scheitern lassen.

 

Rz. 53

Allerdings ist es keineswegs gesichert, ob § 88 Abs. 3 TKG auf alle hier in Rede stehenden Anbieter elektronischer Kommunikation unmittelbar anwendbar ist. Zwar sind die Anbieter einer (mittelbaren) Grundrechtsbindung unterworfen und das Fernmeldegeheimnis umfasst auch den sog. "ruhenden Verkehr",[113] was gleichermaßen für § 88 TKG wie für Art. 10 GG gilt.[114] In den Anwendungsbereich des TKG fallen aber nur Anbieter von Telekommunikationsdiensten. Telekommunikationsdienste sind nach § 3 Nr. 24 TKG

Zitat

"in der Regel gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen".

Die meisten Anbieter von Kommunikationsdienstleistungen im Internet, insbesondere E-Mail-Anbieter und Anbieter sozialer Netzwerke führen die technische Signalübertragung allerdings nicht selbst durch. Sie nutzen vielmehr die Signalübertragungsleistung der Telekommunikationsunternehmen ("Over-the-top-Dienst").[115]

 

Rz. 54

Das VG Köln hat aber bspw. für den E-Mail-Anbieter Gmail entschieden, dass dieser "Veranlasser" der Signalübertragung sei, so dass diese ihm zurechenbar sei, weshalb er als Dienstanbieter im Sinne des TKG einzuordnen sei.[116] Dieser Einordnung hat sich das KG in seinem Urteil zur Rechtsnachfolge in ein Benutzerkonto bei Facebook angeschlossen und Facebook als Dienstanbieter im Sinne des TKG eingeordnet.[117]

 

Rz. 55

Dieser Einordnung wird zum Teil nachdrücklich widersprochen, da bspw. Facebook sich zwar fremder Telekommunikationsdienste bediene, solche Dienste aber nicht selbst erbringe.[118] Im Ergebnis kann das aber wohl dahinstehen, weil § 88 TKG jedenfalls über den Verweis auf diese Regelung in § 7 Abs. 2 S. 3 TMG auch auf E-Mail-Anbieter und soziale Netzwerke Anwendung findet.[119]

[108] Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins du...

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