Rz. 109

Die Norm verhindert zumindest bei kleineren und damit leicht behebbaren Baumängeln eine vorschnelle vorrangige Inanspruchnahme des Architekten oder Ingenieurs durch den Besteller. Zugleich wird gesetzlich einer erfolgversprechenden Nachbesserung ein Vorrang vor der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs (auch in dem durch die Gesamtschuld entstehenden Mehrpersonenverhältnis zwischen dem Bauherrn, dem Architekten oder Ingenieur und dem bauausführenden Unternehmer) eingeräumt[235]  – wie dies ja auch bereits in der Relation Besteller – bauausführender Unternehmer der Fall ist (vgl. die §§ 634 ff. BGB, wonach dem Unternehmer zunächst ein Nachbesserungsrecht [sog. Recht zur zweiten Andienung] eingeräumt werden muss, bevor der Besteller Mängelhaftungsrechte [z.B. Schadensersatz, Minderung des Vergütungsanspruchs oder Selbstbeseitigung des Schadens] geltend machen kann). Das Recht zur zweiten Andienung würde dem bauausführenden Unternehmer aber dann verweigert, wenn der Besteller im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung vom Planer und vom bauausführenden Unternehmer den Planer sofort in Anspruch nehmen könnte.[236]

 

Rz. 110

 

Beachte:

Der Architekt oder Ingenieur kann das Leistungsverweigerungsrecht nach § 650t BGB nur im Falle von Überwachungsfehlern – die zu Mängeln am Bauwerk oder der Außenlagen geführt haben – erheben,[237] nicht jedoch bei Planungsmängeln (arg.: Bei Letzteren hat der Architekt oder Ingenieur nämlich die Hauptursache für den Mangel selbst gesetzt, weswegen es unangemessen wäre, den Besteller in einer solchen Konstellation zunächst auf eine Inanspruchnahme des Bauunternehmers auf Nacherfüllung zu verweisen.[238]

 

Rz. 111

 

Beachte zudem:

§ 650t BGB setzt hingegen nicht voraus, dass der Besteller gegen den bauausführenden Unternehmer zuvor geklagt hat:[239] Es reicht vielmehr aus, dass der Besteller dem bauausführenden Unternehmer erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat (was auch im Mängelgewährleistungsrecht nach § 637 BGB Voraussetzung für die Geltendmachung anderer Mängelgewährleistungsansprüche ist) – arg.: weitergehende Voraussetzungen würden die Geltendmachung der Mängelhaftungsansprüche des Bestellers nur erschweren (und gerade bei größeren Mängeln auch zu einem nicht akzeptablen Zeitverlust führen).[240]

 

Rz. 112

Der Gesetzgeber hat sich zugleich explizit gegen eine Abschaffung der gesamtschuldnerischen Haftung ausgesprochen:[241] Dies ginge nur zulasten des Bestellers, mithin insbesondere des Verbrauchers, der eine anderweitige Absicherung seiner Ansprüche vertraglich im Zweifel nicht durchsetzen kann – und beim Wegfall der gesamtschuldnerischen Haftung prozessual benachteiligt würde, da er dann eine korrekte Schadensaufteilung zwischen den am Bau Beteiligten vornehmen müsste (was ihm selbst bei sachverständiger Unterstützung nicht immer gelingen dürfte), um jeden Baubeteiligten einzeln zu verklagen.[242]

 

Rz. 113

Schwenker/Rodemann[243] äußern heftige Kritik an der Norm, da die gesamtschuldnerische Haftung zu einer subsidiären gesamtschuldnerischen Haftung umgedeutet werde – was mit der Judikatur des BGH[244] nicht in Übereinstimmung zu bringen sei, nach der Architekt bzw. Ingenieur und Bauunternehmer (nur) dann Gesamtschuldner sein sollen, wenn sie beide wegen eines Mangels am Bauwerk auf Schadensersatz in Geld wegen Nichterfüllung nach § 635 BGB alt haften.

 

Rz. 114

"Problematisch ist die in der Praxis recht häufig vorkommende Konstellation, dass der Besteller einen Ausführungsmangel beseitigen lässt und anschließend wegen der dafür aufgewandten Kosten den Architekten oder Ingenieur auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, ohne den bauausführenden Unternehmer zur Nacherfüllung aufgefordert zu haben."[245]

[235] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 72.
[236] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 72 – zumal der solvente Unternehmer nach Ansicht des Gesetzgebers im Regelfall ein Interesse an der Wahrnehmung des Nacherfüllungsrechts habe (arg: Wiederherstellung der "Kundenzufriedenheit"). Im Übrigen sei eine Nacherfüllung regelmäßig kostengünstiger als die Erfüllung des Regressanspruchs des Planers (a.a.O.).
[237] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 72.
[238] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 72.
[239] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 72.
[240] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 72.
[241] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 72.
[242] RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 72.
[243] Erman/Schwenker/Rodemann, § 650t BGB Rn 1.
[244] BGH NJW 1965, 1175.
[245] Erman/Schwenker/Rodemann, § 650t BGB Rn 5.

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