Rz. 41

Nach § 17 Abs. 3 KSchG ist eine Anzeige nur wirksam, wenn ihr eine Stellungnahme des Betriebsrates beigefügt wird oder der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor der Anzeige gem. § 17 Abs. 2 KSchG unterrichtet hat und er den Stand der Beratung darlegt. Eine Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG liegt nur vor, wenn sich der Erklärung entnehmen lässt, dass der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte als gewahrt ansieht und er eine abschließende Meinung zu den vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigungen geäußert hat.[85] Eine Massenentlassungsanzeige ist unwirksam, wenn ihr entgegen § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG keine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt ist und auch die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG nicht erfüllt sind. Die Stellungnahme des Betriebsrates muss nicht zwingend in einem eigenständigen Schriftstück niedergelegt sein. Falls zwischen den Betriebsparteien im Zusammenhang mit den beabsichtigten Kündigungen ein Interessenausgleich nach §§ 111, 112 BetrVG zustande gekommen ist, kann die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG in diesen integriert werden.[86]

Da bei Fehlen einer Unterrichtung weder die eine noch die andere Voraussetzung erfüllt werden kann – der Betriebsrat hat in diesem Fall keinen Anlass zu einer Stellungnahme –, ist die Einhaltung der Unterrichtungspflicht nach § 17 Abs. 2 KSchG zumindest mittelbare Wirksamkeitsvoraussetzung für die Anzeige. Ebenso ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Anzeige gem. § 17 Abs. 2 KSchG die Beratung der Möglichkeiten, Kündigungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern.

Hat der Betriebsrat eine Stellungnahme zu dem Ergebnis der nach § 17 Abs. 2 KSchG mit dem Arbeitgeber geführten Beratungen abgegeben, ist diese gem. § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG der Anzeige der Massenentlassung gegenüber der örtlichen Agentur für Arbeit beizufügen. § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG verlangt keine Stellungnahme des Betriebsrats in einem eigenständigen Dokument. Aus Sinn und Zweck des § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG folgt, dass eine in einen Interessenausgleich ohne Namensliste integrierte Stellungnahme des Betriebsrats den gesetzlichen Anforderungen genügt.[87]

 

Rz. 42

Sind bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, wird nach § 1 Abs. 5 KSchG vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Der Interessenausgleich nach § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG.

 

Rz. 43

Zwar ist nach § 17 Abs. 3 S. 1 und S. 2 KSchG eine beigefügte Stellungnahme des Betriebsrats Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige, ihr Fehlen führte aber nach Auffassung des BAG nicht zwingend und dauerhaft zur Unwirksamkeit der Anzeige. Die fehlende Stellungnahme des Betriebsrats könne nachgereicht werden unter der Voraussetzung, dass der Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Anzeigeerstattung, also vor Vollständigkeit der Anzeige nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG, unterrichtet worden ist (§ 17 Abs. 3 S. 3 KSchG).[88] Diese Rechtsauffassung hatte vor dem BVerfG allerdings keinen Bestand.[89]

Wird einer Massenentlassungsanzeige entgegen § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG keine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt und sind auch die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG nicht erfüllt, kann das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Arbeitgebers nicht aufgelöst werden. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsverwaltung einen Verwaltungsakt nach § 18 Abs. 1 oder Abs. 2 KSchG erlassen hat und dieser bestandskräftig geworden ist. Ein solcher Bescheid entfaltet weder gegenüber dem Arbeitnehmer noch gegenüber der Arbeitsgerichtsbarkeit materielle Bestandskraft.[90]

 

Rz. 44

Ein vor der "Entlassung" abgeschlossener Interessenausgleich erfüllt die Beratungspflicht nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG. Dagegen ist es weder nach nationalem Recht noch nach Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 EGRL 59/98 Voraussetzung, dass außer der Unterrichtung des Betriebsrats und Beratung mit dem Betriebsrat auch eine Einigung vor "Durchführung der Massenentlassung" erzielt worden sein muss. Auch nach der Rechtsprechungsänderung durch den EuGH, die unter Entlassung nicht mehr die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Kündigungsfrist, sondern den Ausspruch der Kündigung selbst versteht, ist aus der Konsultationspflicht nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG keine Pflicht zur Verständigung über den Umfang und die Folgen der Massenentlassung abzuleiten. Der Betriebsrat muss unterrichtet und es muss mit ihm beraten worden sein, dagegen muss eine Einigung vor Durchführung der Massenentlassung mit ihm nicht erzielt werden.[91]

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