Rz. 56

Die Entlassungssperre nach § 18 Abs. 1 KSchG hindert weder den Ausspruch einer Kündigung nach Anzeige der Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit, noch verlängert die Sperrfrist die gesetzlichen Kündigungsfristen.[101]

1. Entscheidung der Agentur für Arbeit

 

Rz. 57

Die Entscheidung der Agentur für Arbeit nach § 18 Abs. 1 und 2 KSchG erfolgt durch den Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agentur, wenn die Zahl der Kündigungen weniger als 50 beträgt, oder einen bei der Agentur gebildeten "Ausschuss für anzeigepflichtige Entlassungen", der vor seiner Entscheidung den Arbeitgeber und den Betriebsrat anzuhören hat. Arbeitgeber und Betriebsrat haben dem Ausschuss die für die Beurteilung des Falles erforderlich gehaltenen Auskünfte zu erteilen. Der Ausschuss hat sowohl das Interesse des Arbeitgebers als auch das der zu entlassenden Arbeitnehmer, das öffentliche Interesse und die Lage des gesamten Arbeitsmarktes unter besonderer Beachtung des Wirtschaftszweiges, dem der Betrieb angehört, zu berücksichtigen, bevor er die Entscheidung trifft, ob die nach § 17 KSchG anzeigepflichtigen Kündigungen bereits vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige wirksam werden, ob die Zustimmung rückwirkend bis zum Tage der Antragstellung erteilt wird oder ob die Kündigungen von längstens zwei Monaten nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit wirksam werden.

 

Rz. 58

Gegen die Entscheidung des "Ausschusses für anzeigepflichtige Entlassungen" oder des Vorsitzenden der Geschäftsführung ist Widerspruch zulässig. Der Widerspruch ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung schriftlich einzureichen oder die Niederschrift zu erklären, und zwar bei dem “Ausschuss für anzeigepflichtige Entlassungen oder beim Vorsitzenden der Geschäftsführung derjenigen Dienststelle, bei der die Entscheidung getroffen worden ist.

 

Rz. 59

Ein fehlerhaftes Anzeigeverfahren wird nicht durch die Nichtbeanstandung der Agentur für Arbeit geheilt. Ein bestandskräftiger Bescheid der Arbeitsverwaltung nach § 18 Abs. 1, § 20 KschG verhindert keine (arbeits-)gerichtliche Kontrolle, die zur Feststellung der Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige führen kann. Ob die Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß erstattet ist, ist lediglich Vorfrage für einen Bescheid der Arbeitsverwaltung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG, gehört nicht zum Regelungsinhalt eines solchen Verwaltungsakts und wird deshalb von dessen Bestandskraft nicht erfasst.[102]

 

Rz. 60

Ein Arbeitnehmer muss rechtzeitig Klage nach § 4 S. 1 KSchG bei unterbliebener oder mangelhafter Anzeige erheben.[103] Ihn trifft die Darlegungs- und Beweispflicht hinsichtlich der Voraussetzungen der Anzeigepflicht nach § 17 KSchG.[104] Ist die Anzeigepflicht erwiesen, trifft den Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweispflicht hinsichtlich eines ordnungsgemäßen Verfahrens.[105]

[105] MüKo-BGB/Hergenröder, KSchG, 9. Aufl. 2021, § 18 Rn 23.

2. Sperrfrist

 

Rz. 61

Mit dem Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit tritt zunächst eine Sperrfrist von einem Monat in Kraft (§ 18 Abs. 1 KSchG), die im Einzelfall durch die Agentur auf längstens zwei Monate verlängert werden kann. Im Fall der Anzeige bei einer unzuständigen Agentur für Arbeit tritt die Sperrfrist erst nach der Weitergabe an die zuständige Agentur für Arbeit in Kraft.[106] Beginn und Ende der Sperrfrist bestimmen sich nach den §§ 187 Abs. 1 und 188 Abs. 2 BGB.[107] Die Sperrfrist hat die Wirkung einer Mindestkündigungsfrist.[108]

 

Rz. 62

 

Beispiel

Am 16.3. geht bei der zuständigen Agentur für Arbeit eine wirksam erstattete Anzeige gem. § 17 KSchG ein. Die Monatsfrist beginnt nach § 187 Abs. 1 BGB am 17.3. und endet nach § 188 Abs. 2 BGB am 16.4. Die Kündigungen werden somit nach Ablauf des 16.4. wirksam.

[107] BeckOK-ArbR/Volkening, KSchG, § 18 Rn 5; APS/Moll, KSchG, 6. Aufl. 2021, § 18 Rn 6.
[108] Bauer/Krieger, NZA 2009, 174, 175; Bauer/Krieger/Powietzka, DB 2005, 445, 447.

3. Freifrist

 

Rz. 63

Gem. § 18 Abs. 4 KSchG bedarf es unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG einer erneuten Anzeige, soweit die Entlassungen nicht innerhalb von 90 Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem sie nach den Abs. 1 und 2 zulässig sind, durchgeführt werden. Die Freifrist beginnt demnach nach dem Zeitpunkt, zu dem die Entlassungen nach § 18 Abs. 1 KSchG und § 18 Abs. 2 KSchG zulässig sind. Darunter versteht das BAG, dass sich die Frist von 90 Tagen unmittelbar an das Ende der Sperrfrist nach § 18 Abs. 1, 2 KSchG anschließt.[109] Die Agentur für Arbeit gibt den Hinweis, nach Eingang der wirksamen Entlassungsanzeigen bei der Agentur für Arbeit habe man 90 Tage Zeit, die angezeigten Entlassungen durchzuführen.[110] Aufgrund der sich widersprechenden Angaben, ist dem Arbeitgeber zu empfehlen, die kürzere Frist anzuwenden.

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