Rz. 3

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er eine anzeigepflichtige Kündigung ausspricht. Die Kündigung kann unmittelbar nach Eingang der wirksamen Anzeige bei der Agentur für Arbeit ausgesprochen werden. Ist die Zustimmung weder vor noch nach dem vorgesehenen Kündigungszeitpunkt beantragt worden, steht damit fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die entsprechende Kündigung nicht aufgelöst worden ist.[7] Hat der Arbeitgeber eine nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Anzeige nicht erstattet, führte dies nach früherer Rechtsprechung des BAG gem. § 17 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 KSchG i.V.m. § 134 BGB zur Unwirksamkeit der Beendigungskündigungen – auch derjenigen, die im Rahmen von Änderungskündigungen erklärt worden sind.[8] Allerdings beabsichtigt der Sechste Senat, seine Rechtsprechung, wonach eine Kündigung wegen Verstoßes gegen § 134 BGB unwirksam ist, wenn im Zeitpunkt der Erklärung der Kündigung keine oder eine fehlerhafte Anzeige nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG vorliegt, aufzugeben. Hierin liegt eine entscheidungserhebliche Abweichung zur Rechtsprechung des Zweiten Senats. Der Sechste Senat hat daher die Anfrage an den Zweiten Senat nach § 45 Abs. 3 S. 1 ArbGG gestellt, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält.[9]

Die Anzeige hat bei der für den Betriebssitz örtlich zuständigen Agentur für Arbeit zu erfolgen. Nicht ausreichend für eine ordnungsgemäße Anzeige ist der Eingang der Anzeige bei einer anderen Agentur für Arbeit ohne eine rechtzeitige Weiterleitung an die örtlich zuständige Agentur.[10]

 

Rz. 4

Nach § 17 Abs. 1 KSchG sind Kündigungen anzeigepflichtig, wenn in Betrieben mit i.d.R. mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer, in Betrieben mit i.d.R. mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer, in Betrieben mit i.d.R. mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen gekündigt werden soll. Den Entlassungen stehen andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber veranlasst werden (vgl. unten Rdn 16 ff.).

Wie dem Tatbestandsmerkmal "in der Regel" zu entnehmen ist, kommt es für den betrieblichen Geltungsbereich nicht auf die Anzahl der im konkreten Zeitpunkt der Kündigung beschäftigten Arbeitnehmer an. Es ist – wie etwa auch bei den Regelungen von § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, § 111 S. 1 BetrVG – auf die Regelanzahl abzustellen. Dies ist nicht die durchschnittliche Beschäftigtenzahl in einem bestimmten Zeitraum, sondern die normale Beschäftigtenzahl des Betriebs, d.h. diejenige Personalstärke, die für den Betrieb im Allgemeinen, also bei regelmäßigem Gang des Betriebs, kennzeichnend ist. Erforderlich ist ein Rückblick auf die bisherige personelle Stärke des Betriebs und eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklung, wobei Zeiten außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsanfalls nicht zu berücksichtigen sind.[11]

 

Rz. 5

Nach der Rechtsprechung des BAG[12] ist es zulässig, in mehreren Wellen zu kündigen, d.h. die Zeitpunkte, an denen die Kündigungen erklärt werden, so zu staffeln, dass die Entlassungen gestreckt werden und jeweils knapp unter den Zahlen des § 17 Abs. 1 KSchG bleiben, ohne dass dies als Gesetzesumgehung angesehen wird. Das BAG begründet seine Auffassung damit, dass die Pflichten und Belastungen aus den §§ 17 ff. KSchG nur den Arbeitgeber treffen, der bei Erreichen der kritischen Zahl zur Anzeige der Entlassungen aufgefordert ist. Will er die Anzeige an die Agentur für Arbeit vermeiden, bleibt ihm die Möglichkeit, die Zahl der zu Entlassenden jeweils unter der Grenzzahl zu halten. Dieses Verfahren verstößt nicht gegen §§ 17 ff. KSchG, weil dadurch gerade die gewünschte Verteilung der ausscheidenden Arbeitnehmer auf einen längeren Zeitraum erreicht wird. Ein solches Vorgehen, etappenweise Kündigungen auszusprechen, hinter denen ein einheitliches unternehmerisches Konzept steht, wird in der Literatur weitgehend zugestimmt.[13]

 

Rz. 6

Eine erneute Anzeige ist nicht nur erforderlich, wenn die Nachkündigung im Zusammenhang mit einer weiteren Massenentlassung, etwa einer zweiten Kündigungswelle, erfolgt. § 17 Abs. 1 KSchG verpflichtet den Arbeitgeber dazu, die Anzeige vor der "beabsichtigten" Entlassung, d.h. Kündigungserklärung, zu erstatten. Die Kündigung kann daher erst erklärt werden, wenn die Massenentlassungsanzeige erfolgt. Darum muss vor jeder Kündigungserklärung, die Teil einer Massenentlassung ist, für alle von dieser Entlassung erfassten Arbeitnehmer eine Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit erfolgen. Ist die Kündigungserklärung abgegeben, kann keine wirksame Anzeige mehr erstattet werden. Erfolgt im selben Betrieb i.S.v. § 17 KSchG eine weitere Kündigung innerhalb der 30-Tages-Frist und damit in dem von der MERL und § 17 KSchG geforderten zeitlichen Zusammenhang mit der Massenentlassung, ist für sie vor Abgabe der Kündigungserklärung eine eigens...

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