Rz. 1

Der in § 17 KSchG geregelte besondere Kündigungsschutz bei Massenentlassungen unterfällt in zwei getrennt durchzuführende Verfahren mit jeweils eigenen Wirksamkeitsvoraussetzungen, nämlich die in § 17 Abs. 2 KSchG normierte Pflicht zur Konsultation des Betriebsrats einerseits und die in § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG geregelte Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit andererseits. Das Konsultationsverfahren steht selbstständig neben dem Anzeigeverfahren. Beide Verfahren dienen in unterschiedlicher Weise der Erreichung des mit dem Massenentlassungsschutz verfolgten Ziels.[1] Das jeweilige Verfahren stellt eine eigenständige Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung bei Massenentlassungen dar.[2] Das bringt die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (Massenentlassungsrichtlinie – MERL –, ABl EG Nr. L 225 v. 12.8.1998, 16) deutlicher zum Ausdruck als § 17 KSchG, mit dem diese Richtlinie umgesetzt worden ist. Dort ist das Konsultationsverfahren in Teil II (Information und Konsultation), die Anzeigepflicht dagegen in Teil III (Massenentlassungsverfahren) geregelt. Im Konsultationsverfahren soll der Betriebsrat konstruktive Vorschläge unterbreiten können, um die Massenentlassung zu verhindern oder jedenfalls zu beschränken.[3] Erfolgt gleichwohl eine Massenentlassung, soll die Agentur für Arbeit durch die Anzeige der Massenentlassung in die Lage versetzt werden, Maßnahmen zur Vermeidung oder zum Aufschub von Belastungen des Arbeitsmarkts einzuleiten, die Folgen der Entlassungen für die Betroffenen zu mildern und für deren anderweitige Beschäftigung zu sorgen.[4]

 

Rz. 2

Jedes dieser beiden Verfahren stellt ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis für die im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erfolgte Kündigung dar. § 17 Abs. 2 KSchG einerseits und § 17 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 S. 2 und S. 3 KSchG andererseits sind zwei unterschiedliche Verbotsgesetze, die bei Verstößen gegen die gesetzlichen Anforderungen jeweils unabhängig voneinander zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.[5] Darum reicht es zur Vermeidung der Präklusion nach § 6 S. 1 KSchG nicht aus, erstinstanzlich Mängel aus dem einen Verfahren zu rügen, um dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu eröffnen, auch Mängel des anderen Verfahrens und die daraus folgende Unwirksamkeit der Kündigung erstmals im Berufungsverfahren geltend zu machen. Erforderlich ist vielmehr, dass der Arbeitnehmer bereits in der ersten Instanz Mängel rügt, die sich eindeutig erkennbar dem Verfahren hinsichtlich der Anzeigepflicht und/oder dem Konsultationsverfahren zuordnen lassen. Hinsichtlich der Mängel, die bezüglich des nicht bereits in erster Instanz angesprochenen Verfahrens bestehen, ist er in zweiter Instanz bei ordnungsgemäß erteiltem Hinweis durch § 6 S. 1 KSchG präkludiert.[6]

Solange eine Anzeige nach dem KSchG vom Arbeitgeber nicht wirksam erstattet ist, sind anzeigepflichtige Entlassungen rechtsunwirksam. Dasselbe gilt, wenn die Anzeige zwar wirksam erstattet wurde, die angezeigten Entlassungen aber während der Entlassungssperre vorgenommen werden.

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