Rz. 494

BGH, Urt. v. 25.7.2017 – VI ZR 433/16, VersR 2017, 1486

Zitat

§§ 110, 111, 113 S. 1 SGB VII, §§ 195, 199, 203 BGB

Nach § 113 Satz 1 SGB VII gelten für die Verjährung der Ansprüche nach §§ 110 und 111 SGB VII die §§ 195, 199 Abs. 1 und 2 und § 203 BGB entsprechend mit der Maßgabe, dass die Frist von dem Tag an gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt oder ein entsprechendes Urteil rechtskräftig geworden ist.

Demnach hat stets eine taggenaue Berechnung der Verjährungsfrist – unabhängig von der Kenntnis oder grobfahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers im Sinne von § 199 Abs. 1 BGB – ab der bindenden Feststellung der Leistungspflicht zu erfolgen (Fortführung von BGH, Urt. v. 8.12.2015 – VI ZR 37/15).

I. Der Fall

 

Rz. 495

Die Klägerin, eine Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, nahm die Beklagten auf Ersatz von Aufwendungen wegen eines Unfalls des bei ihr versicherten Kindes B. in einer Kindertagesstätte in Anspruch. Am 6.3.2008 hielt sich das versicherte Kind mit anderen Kindern auf dem Außengelände der Kindertagesstätte auf. Die Kordel des Anoraks des Kindes verhakte sich in der spitz zulaufenden Seitenwange einer der beiden dort aufgebauten Rutschen, dadurch wurde das Kind schwer verletzt und ist seitdem schwerstbehindert.

 

Rz. 496

Die Beklagte zu 1 war die Eigentümerin des Grundstücks, auf dem die Kindertagesstätte betrieben wurde. Sie selbst betrieb die Kindertagesstätte bis ins Jahr 2005 und ließ auf dem Außengelände einen Spielplatz mit Spielgeräten, darunter auch die beiden Rutschen, errichten. Seit Juni 2005 wird die Kindertagesstätte von dem Verein "Kita F." e.V. betrieben, dem die Beklagte zu 1 die Nutzung der Kindertagesstätte und des Freigeländes gegen Nutzungsentgelt überlassen hatte. Die Verwaltung der Beklagten zu 1, der Gemeinde A., führte der Beklagte zu 2, das Amt H. Im März 2008 waren die Beklagten zu 3 bis 5 beim Verein "Kita F." e.V. beschäftigt, die Beklagte zu 3 als Leiterin der Kindertagesstätte, die Beklagten zu 4 und 5 als Erzieherinnen. Die Klägerin erkannte mit Bescheiden vom 17.2.2009 gegenüber dem Kind B. den Arbeitsunfall an und bestätigte ihre Verpflichtung zur Zahlung einer Rente bzw. von Pflegegeld.""

 

Rz. 497

Die Klägerin hat behauptet, die Beklagten zu 3 bis 5 hätten am Unfalltag vormittags mit der Gruppe von 16 Kindern, darunter das zum damaligen Zeitpunkt zwei Jahre und zehn Monate alte Kind B., das Spielgelände der Kindertagesstätte aufgesucht. Als die Erzieherinnen gegen 11.00 Uhr die Kinder zu sich gerufen hätten, um in das Gebäude der Kindertagesstätte zurückzugehen, sei nicht bemerkt worden, dass B. gefehlt habe, die Kinder seien auch nicht gezählt worden. Man habe die Spielfläche nicht abgesucht, sondern nur vom Zaun aus geschaut, ob sie frei sei. Auch beim Ausziehen von Jacken und Schuhen sei nicht aufgefallen, dass B. fehle. Dies sei erst von der Beklagten zu 3 bemerkt worden, nachdem ein Kind auf Nachfrage erklärt habe, das Mädchen sei noch draußen und hänge am Klettergerüst. Das Kind B. sei unbemerkt auf das Klettergerüst gestiegen und beim Heruntergleiten von der Rutsche mit einer Schlaufe der Jacke an der Seitenbrüstung hängengeblieben. Aufgrund des Eigengewichts des Kindes sei seine Halsschlagader zusammengedrückt worden. Es habe zwar reanimiert werden können, aber aufgrund des eingetretenen Sauerstoffmangels sei eine schwere hypoxische Hirnschädigung mit schwersten Folgen eingetreten. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagten die ihnen obliegenden Sorgfaltspflichten grob fahrlässig verletzt hätten. Die Rutsche hätte schon nicht dort errichtet werden dürfen, weil sie nur für eine private Nutzung außerhalb von Kindergärten und öffentlichen Spielplätzen bestimmt gewesen sei. Wegen des spitz zulaufenden Winkels der Seitenbrüstung im Einstiegsbereich habe sie den Normen nicht entsprochen. Obwohl dies bei einer Überprüfung der Spielgeräte im November 1999 durch einen Mitarbeiter des Technischen Überwachungsvereins nicht beanstandet worden sei, liege eine Sorgfaltspflichtverletzung vor, da die Beklagte zu 1 nach einem Umbau im Jahr 2000 keine erneute Sicherheitsüberprüfung der Rutsche veranlasst habe. Regelmäßige Kontrollen oder Wartungen habe die Beklagte zu 1 nicht durchgeführt. Die Beklagten zu 1 und 2 seien von ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht durch den Nutzungsvertrag mit dem Betreiberverein der Kindertagesstätte entbunden worden. Der Beklagte zu 2 sei verkehrssicherungspflichtig, weil er die laufende Verwaltung der Beklagten zu 1 geführt habe. Die Beklagten zu 3 bis 5 hätten ihre Aufsichtspflichten in erheblichem Maße grob fahrlässig verletzt, indem sie die Kinder nicht ordnungsgemäß beaufsichtigt hätten. Die Beklagten sind dem entgegengetreten und haben die Einrede der Verjährung erhoben. Der Beklagte zu 2 sei schon nicht passivlegitimiert, da er seine Aufgaben nach der Kommunalverfassung zugunsten der Gemeinde erledige.

 

Rz. 498

Mit ihrer am 21.12.2012 beim Landgericht eingereichten Kla...

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