Rz. 92

Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz der relativen Theorie sind die Schadensfälle, in denen der Sozialleistungsträger aufgrund des Schadensereignisses dem Geschädigten oder seinen Hinterbliebenen keine höheren Sozialleistungen zu erbringen hat als vor dem Unfall.

 

Rz. 93

Müssen sich in diesen Fällen der Geschädigte oder seine Hinterbliebenen ein Mitverschulden anrechnen lassen, findet ein Forderungsübergang auf den Sozialleistungsträger erst dann statt, wenn der verbleibende Eigenschaden des Geschädigten oder seiner Hinterbliebenen voll ausgeglichen ist. Hier hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BGH übernommen, der insoweit dem Geschädigten und seinen Hinterbliebenen ein Quotenvorrecht zugebilligt hatte (BGH VersR 1978, 179; 1981, 334).

 

Rz. 94

Der Grund hierfür ist, dass beispielsweise der Rentenversicherungsträger im Falle des Todes eines Rentners in der Folgezeit geringere Aufwendungen hat (z.B. § 46 SGB VI – Witwenrente), sodass in derartigen Fällen vom Gesetzgeber die größere Notwendigkeit gesehen wird, die Versorgung der Hinterbliebenen und den Ausgleich ihrer Schäden zu sichern, als dem Rentenversicherungsträger zu den ohnehin niedrigeren Aufwendungen auch noch eine erst durch den Unfall entstehende Regressmöglichkeit (§ 844 Abs. 2 BGB) gegenüber dem Schädiger zu eröffnen.

 

Rz. 95

 

Beispiel

Ein Rentner ist Alleinernährer der Familie und erhält von der Deutschen Rentenversicherung eine EU- oder Altersrente in Höhe von 1.500 EUR monatlich. Er wird bei einem Verkehrsunfall getötet. Die Deutsche Rentenversicherung muss nunmehr der Witwe nur noch gemäß § 46 SGB VI die Große Witwenrente, also 60 % von 1.500 EUR = 900 EUR zahlen. Die Deutsche Rentenversicherung hat somit als Folge des Schadensereignisses niedrigere Rentenleistungen zu erbringen als vor dem Unfall. Darüber hinaus könnte sie ohne das Quotenvorrecht der Witwe des § 116 Abs. 5 SGB X bei der 50 %igen Mithaftung des Schädigers 50 % ihrer Aufwendungen von 900 EUR, also 450 EUR, beim Schädiger regressieren. Die Witwe dagegen erhielte wegen des Anspruchsübergangs nach § 116 Abs. 1 und 3 SGB X nur 50 % ihres verbleibenden Unterhaltsschadens gemäß § 844 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 116 Abs. 3 SGB X.

 

Rz. 96

Dies hat der BGH und im Anschluss hieran der Gesetzgeber als unbillig empfunden. Deshalb sieht § 116 Abs. 5 SGB X vor, dass die ungedeckten restlichen Unterhaltsschäden der Witwe nach § 844 Abs. 2 BGB den Regressforderungen der Sozialleistungsträger gegenüber quotenbevorrechtigt sind. Die Witwe erhält also ihre Große Witwenrente von der Deutschen Rentenversicherung und ihren restlichen, über die Witwenrente hinausgehenden Unterhaltsschaden quotenbevorrechtigt vom Schädiger ersetzt.

 

Rz. 97

 

Beachte

Das Quotenvorrecht der Witwe kommt vor allem in Mitverschuldensfällen dann in Betracht, wenn entweder die fixen Haushaltskosten sehr hoch sind oder der Unterhaltspflichtige neben seinem Renteneinkommen weiteres Einkommen erzielte.

 

Rz. 98

 

1. Beispiel

 
Renteneinkommen 1.500 EUR
Nebeneinkommen 500 EUR
Gesamteinkommen des Rentners 2.000 EUR
abzgl. fixe Haushaltskosten – 1.000 EUR
Für Unterhaltszwecke einzusetzendes Rentnereinkommen 1.000 EUR
Hiervon beträgt der Rentneranteil 500 EUR
Anteil der Ehefrau (Witwe) 500 EUR

Der Unterhaltsschaden der Witwe nach § 844 Abs. 2 BGB berechnet sich somit wie folgt:

 
Fixe Haushaltskosten 1.000 EUR
Witwenanteil am verbleibenden Manneseinkommen 500 EUR
Unterhaltsschaden nach § 844 Abs. 2 BGB 1.500 EUR
Haftungsquote des Schädigers ⅓ = 500 EUR
Die Witwe erhält eine Witwenrente von 900 EUR
Ihr ungedeckter Unterhaltsschaden beträgt somit 600 EUR

Wegen des Quotenvorrechts der Witwe nach § 116 Abs. 5 SGB X erhält sie die vom Schädiger aufgrund seiner niedrigen Haftungsquote von ⅓ zu zahlenden 500 EUR voll.

 

Rz. 99

 

2. Beispiel

Wie oben, jedoch Haftungsquote zu 50 %, sodass der Schädiger 750 EUR zu ersetzen hat.

Die nach § 116 Abs. 5 SGB X quotenbevorrechtigte Witwe erhält ihren ungedeckten Unterhaltsschaden von 600 EUR voll. Hinsichtlich des Restbetrages in Höhe von 150 EUR findet nach § 116 Abs. 1 und 3 SGB X ein Forderungsübergang auf die Deutsche Rentenversicherung statt.

 

Rz. 100

 

Beachte

Ein Forderungsübergang auf die Deutsche Rentenversicherung oder sonstige Sozialleistungsträger findet also erst dann statt, wenn der durch die Witwenrente nicht gedeckte Unterhaltsschaden voll ausgeglichen ist.

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