Rz. 72

Wenn der Durchsetzung der Ansprüche auf Ersatz eines Schadens tatsächliche Hindernisse entgegenstehen, hat die Durchsetzung der Ansprüche des Geschädigten oder seiner Hinterbliebenen Vorrang vor den übergegangenen Ansprüchen nach § 116 Abs. 1 SGB X.

 

Rz. 73

Mit dem Begriff "tatsächliche Hindernisse" meint der Gesetzgeber den Fall, dass der Schädiger und/oder sein Haftpflichtversicherer nicht genügend Mittel zur Verfügung haben, um sämtliche Ansprüche des Geschädigten und der Sozialleistungsträger befriedigen zu können.

 

Rz. 74

 

Beispiel

Der mittellose Schädiger, der sein Kraftfahrzeug lediglich mit der Mindestversicherungssumme von seinerzeit 2,5 Mio. EUR (nach der Anlage 1 zu § 4 Abs. 2 PflVG, inzwischen 7,5 Mio. EUR) für Personenschäden versichert hatte, verschuldet einen Verkehrsunfall, bei dem sein Unfallgegner eine hohe Querschnittslähmung erleidet, die ihn voll pflegebedürftig werden lässt.

 

Rz. 75

Hier reichen die finanziellen Mittel des Schädigers persönlich ebenso wenig wie die Mindestversicherungssumme von 2,5 Mio. EUR aus, um die Schadensersatzansprüche des Geschädigten und der Sozialleistungsträger insgesamt auszugleichen. In diesem Fall greift das Befriedigungsvorrecht des Geschädigten nach § 116 Abs. 4 SGB X ein mit der Folge, dass der Geschädigte sämtliche ihm verbliebenen Schäden vorab erhält und die Sozialleistungsträger wegen der auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche nach § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X nur nachrangig regressieren können (BGH VersR 1979, 30).

 

Rz. 76

Das Befriedigungsvorrecht des Geschädigten gilt jedoch nur gegenüber seinem eigenen Sozialleistungsträger (BGH VersR 1979, 30). Das bedeutet, dass bei mehreren Geschädigten, die gegenüber verschiedenen Sozialleistungsträgern nach § 116 Abs. 4 SGB X bevorrechtigt sind, untereinander eine Art Verteilungsplan aufgestellt werden muss.

 

Rz. 77

Reicht die Versicherungssumme zur Befriedigung mehrerer Betroffener nicht aus, führt dies natürlich nicht dazu, dass die Verteilung der Versicherungssumme generell unterbleibt. Vielmehr findet zunächst im Rahmen des Verteilungsverfahrens die anteilige Kürzung aller Forderungen statt. Dann erhält der Geschädigte von den Ansprüchen seiner Rechtsnachfolger im Rahmen seines Befriedigungsvorrechts den Anteil, der erforderlich ist, um seinen Ausfall infolge der Kürzung auszugleichen (BGH zfs 2003, 589).

 

Rz. 78

Dieses Befriedigungsvorrecht ist im Rahmen des Rechtsstreits bereits im Erkenntnisverfahren zu berücksichtigen (BGH NJW 1982, 2321; OLG Koblenz FamRZ 1977, 68).

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